Liebe Leser,
es ist mal wieder Zeit für einen neuen Blogbeitrag. In den letzten Wochen ist viel passiert: ich war in Südamerika auf Workshopreise. Genauer ging es nach Bogota/Kolumbien, nach La Paz/Bolivien und Santiago de Chile/Chile. In jedem der Länder durfte ich Workshops für Bibliotheksmitarbeiter und Lehrer zu Thema „Digitales Lernen mit Gaming und Gamification“ durchführen. Es war wieder ein Projekt des Goethe Instituts und es war eine sehr spannende und interessante Reise. Ich konnte viel lernen und ausprobieren. Besonders interessant war für mich, dass, wenn sich diese Länder auch von Europa unterscheiden, das Thema Gaming bzw. Gamification hier ebenso relevant und sinnvoll erscheint wie überall auf der Welt. Das liegt m.E. vor allem daran, dass das Thema nicht nur auf der ältesten Kulturtechnik der Welt basiert, sondern letztlich mit dem Thema Digitalisierung bzw. dem digitalen Reifegrad eines Bildungssystems wenig zu tun hat. Es geht nicht um digitale Plattformen mit ein paar Spielmechaniken. Es geht auch nicht um die Playstation oder die XBOX. Es geht vielmehr um eine andere Perspektive auf Prozesse, auf Organisationen und auf Verhaltensweisen.
Diese drei Länder zu besuchen war ein großes Abenteuer und ich bin zugegeben sehr dankbar, dass ich diese Reisen unternehmen darf. Gewiss, es ist kein Urlaub – es ist harte Arbeit. Aber es hilft mir die Welt zu verstehen und stetig neu zu lernen. Und doch bin ich in den letzten Monaten etwas nachdenklich geworden. Ich stelle mir zusehends die Frage, wie man diese Workshops anders organisieren kann. Nicht nur aber auch aus Gründen der Nachhaltigkeit gerade in Zeiten des Klimawandels, ist es wichtig zu überlegen, welche Alternativen es gibt. Es gibt verschiedene Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, ob und wenn ja wie die Digitalisierung helfen kann, neue und vor allem nachhaltigere Formate zu entwickeln. Die Frage ist aber: funktioniert das bzw. warum funktioniert es gegebenenfalls noch nicht (ausreichend)?
Ich habe mir dazu einige Gedanken gemacht und ich glaube, wir müssen unser Verständnis des Digitalen in diesem Kontext überdenken. Wenn ich zurückblicke auf die letzten 10 Jahre, dann habe ich zu 99% analoge Workshops vor Ort durchgeführt, die sich mit digitaler Transformation und/oder Gamification beschäftigt haben. Also auch wenn es um das Thema Digitalisierung geht, und wir in den Workshops neue Konzepte für digitale Kommunikation, digitale Zusammenarbeit, digitalen Vertrieb, wenn wir digital-analoge Gesamtstrategien und Digitale Transformationsprozesse planen und umsetzen, dann muss dies aber immer analoge geschehen? Entsteht da nicht ein Konflikt zwischen Inhalt und Format? Ich habe einige meiner Kunden befragt und letztlich (es war mit Sicherheit keine wissenschaftlich-soziologische Analyse) kam ich am Ende zu folgender Erkenntnis:
Das Problem sind nicht die Plattformen. Ok, die Plattformen sind es zum Teil auch, aber anders als wir uns das bis jetzt vorgestellt haben. Nein, im Kern ist der erste Schritt in die falsche Richtung gegangen. Letztlich geht es um zwei problematische Perspektiven:
- In vielen Fällen wird, ohne zu wissen, was der Auslöser dafür war, das Digitale noch immer als minderwertig zum Analogen gesehen. Das bedeutet, im Kern möchte man sich lieber „real“ sehen und nicht auf digitale Technologien ausweichen. Digitale Kommunikationswerkzeuge werden dann nur genutzt, wenn ein reales Treffen nicht möglich ist. Ich kann dies grundsätzlich nachvollziehen. Immerhin haben wir nicht nur viele Erfahrungen mit analogen Treffen. Wir haben sogar spezielle analoge Rituale und Abläufe, wie z.B. das Gespräch an der Hotelbar – und wie will man dies via Skype machen?
- Aus diesem Grund wird bei der Nutzung digitaler Kommunikationstechnologien entweder versucht, sie möglichst nahe dem analogen umzusetzen oder aber ihre Nutzung wird minimiert, bis man sich wieder real treffen kann. Dies führt zu einem negativen Kreislauf, denn natürlich schaffen beide Varianten keine wirklichen Mehrwerte und verfestigen zudem die Wahrnehmung, das Analoge sei dem Digitalen vorzuziehen.
Somit entsteht eine Konkurrenzsituation, ein Konflikt, der niemandem hilft und letztlich die Weiterentwicklung einer Organisation bremsen kann. Denn ich bleibe so kulturell in meinem System und entwickele keine gedanklichen Schnittstellen, keine Vernetzungsoptionen in neue Communitys.
Diese Herangehensweise bringt aber noch mehr Probleme mit sich. Durch die „Analogisierung“ von Prozessen, können digitale Plattformen keine Hilfe bei der Entwicklung neuer Muster sein. Somit wird auch keine Implementierung von digitalen Prozessen in die analoge Lebensrealität der Organisation möglich. Für die Nutzung digitaler Ressourcen werden zudem nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt. Dies betrifft bei weitem nicht nur die digitale Infrastruktur. Ich selbst erlebe immer wieder, dass man beispielsweise für digitale Workshops oder auch Vorträge nicht die gleichen Honorare zahlen möchte wie sie bei einem Workshop/Vortrag vor Ort bezahlt werden würden. Dabei müsste es eigentlich genau andersrum laufen. Gerade für digitale Angebote müssten höhere Honorare bezahlt werden. Dies liegt nicht nur daran, dass die Reisekosten quasi wegfallen und man zudem die Umwelt schont. Die Entwicklung wirklich guter Workshop- und Vortragsformate auf der Basis digitaler Kommunikationsplattformen erfordert eine gute Vorbereitung und ebenso eine gute Implementierung vor Ort.
Nun ist natürlich nicht so, dass digitale Formate besser als analoge sind, einfach weil sie digital sind. Die großen Heilsversprechen, dass die Digitalisierung nur durch das Vorhandensein von Maschinen die Probleme unserer Unternehmen, Organisationen, ja unserer ganzen Gesellschaft lösen, waren große Luftnummern. Digitale Plattformen lösen keine Probleme. Die Kontexte und Formate, die auf diesen Plattformen besprochen und realisiert werden, können die Welt verbessern. Aber dafür müssen wir auch nach neuen Formaten und Ideen suchen. Und dabei darf es nicht darum gehen, das Analoge zu ersetzen, sondern etwas im Digitalen zu schaffen was an sich einen Mehrwert bringt.
Nun kenne ich natürlich nicht alle vorhandenen digitalen Formate. Aber ich habe beschlossen, mich mehr darum zu kümmern. Ist es möglich 50% meiner Workshops und Vorträge digital umzusetzen? Wie müssen dann passende Formate aussehen? Was bedeutet das für meine Kunden? Und gibt es dann noch den Drink an der abendlichen Hotelbar?
Beste Grüße
Christoph Deeg