Es ist soweit, die Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben stattgefunden. Hinter uns liegen mehrere Wochen an Wahlkämpfen und ehrlich gesagt bin ich froh, dass das endlich vorüber ist.
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Und bis jetzt haben wir auf diese Herausforderung keinerlei Antworten gefunden. Aus Sicht der Transformation ist das ein sehr großes Problem und es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt in der Lage sein werden diese Herausforderungen anzugehen. Mich erinnert das Ganze ein bisschen an einen Song von Adriano Celentano:“Prisencolinensinainciusol“ Das besondere an diesem Song ist, dass er letztlich keinen Text enthält. Der Legende nach war es so, dass Adriano Celentano zeigen wollte, dass Italiener jeden Song hören und zudem toll finden würden, der auch nur ansatzweise so klingt als würde er in der englischen Sprache verfasst sein. Der Song enthält nur Laute, die so klingen, als würde es sich um englische Worte handeln.
Ich habe so etwas ähnliches vor ein paar Jahren erlebt. Während meines Musikstudiums habe ich in einer wirklich tollen Rockband gespielt. Wir hatten ein paar neue Songs geschrieben, und wollten diese unbedingt bei den anstehenden Konzerten ausprobieren. Allerdings fehlten uns noch Texte. Also haben wir diesen Songs – wir spielten englischsprachige Songs – Namen gegeben und ansonsten hat unser Sänger während des Spielen der Songs englisch klingende Laute gesungen. Was uns wirklich verwirrte war, dass nach einem Konzert drei Fans vor uns standen, die uns erzählten, dass gerade die drei Songs, die überhaupt keinen Text hatten, sie sehr berührt hätten und dass sie die Texte unglaublich inspirierend fanden. Wir dachten erst, dass das ein Scherz sei. Wir mussten dann aber lernen, dass dies ernst gemeint war.
Nun mag man sich fragen, was das ganze mit den letzten Wahlkämpfen zu tun hat? Letztlich gesehen wirken diese Wahlkämpfe auf mich wie die Songs von Adriano Celentano bzw. die Songs meiner alten Rockband. Es gab überhaupt keine Inhalte, es sollte nur so klingen als würde man sich mit Problemen und Herausforderungen oder gar Visionen beschäftigen. Es gab ein bisschen den Versuch, die Bundespolitik zu instrumentalisieren, aber auch das war letztlich gesehen völlig sinnentleert. Es fühlt sich so an als hätten wir einen Wahlkampf-fake erlebt.
Man mag darüber schmunzeln, und ich weiß, dass sehr viele Menschen auch das Gefühl haben, das Wahlkämpfe immer sinnentleerter werden. Aus meiner Sicht reicht es aber nicht aus, sich darüber lustig zu machen. Wahlkämpfe sind immer auch ein Versprechen für die Zukunft. Wahlkämpfe bedeuten zudem, dass Themen festgelegt werden die dann auf die eine oder andere Art und Weise über einen längeren Zeitraum in der Gesellschaft diskutiert und in Teilen auch gelebt werden. Anders ausgedrückt: eine Gesellschaft, die vor so großen Herausforderungen steht, und Bayern hat erhebliche Herausforderungen und zudem wenig Werkzeuge um diesen Herausforderungen zu begegnen, kann es sich eigentlich nicht leisten, solche Wahlkämpfe zuzulassen.
Ich kann das natürlich aus Sicht der Parteien verstehen. Wenn man emotionalisiert muss man sich nicht mit Themen auseinandersetzen. Man kann Ängste instrumentalisieren. Aber letztlich gesehen hilft das niemandem weiter. Vielmehr besteht die Gefahr, dass daraus ein neuer Dauerzustand wird. Aus Sicht der Gamification bedeutet das vor allem, dass wir keine Zielsysteme und keine Feedbacksysteme mehr entwickeln. Wir können uns also innerhalb der Prozesse überhaupt nicht mehr vernünftig bewegen, weil wir keinerlei Informationen oder auch Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden.
Letztlich sind solche Wahlkämpfe virtuell. Sie hatten mit der Realität verhältnismäßig wenig zu tun, werden aber einen massiven Einfluss auf unsere Realität haben. Natürlich bin ich trotzdem zur Wahl gegangen. Es ist mir sehr wichtig zur Wahl gehen zu können. Ich habe in sehr vielen Ländern gearbeitet, in denen es so etwas wie Demokratie nicht gibt. Aber trotzdem ist es mir sehr schwer gefallen, denn ich hatte nicht das Gefühl, wirklich über Ideen und Visionen abzustimmen sondern letztlich ging es m.E. darum, wie man mit einer extrem hohen Emotionalisierung umgehen kann. Letztlich gesehen bedeutet die Situation aber auch, dass wir als „Prozessbeteiligte“, als Menschen, auf die die kommenden politischen Entscheidungen eine große Auswirkung haben, uns viel mehr, und auch zwischen den Wahlen einbringen müssen. Ich meine damit nicht, dass wir in irgendeiner Form extremistische Parteien unterstützen sollten. Vielmehr geht es darum, kontinuierlich inhaltliche Fragen zu stellen bzw. auch Forderungen zu stellen. Demokratie ist letztlich gesehen ein sehr komplexer Prozess und Wahlen sind nur ein Element davon. Ich hoffe sehr, dass die nächsten vier Jahre in Bayern nicht so inhaltslehre Politik hervorbringen wie es der Wahlkampf befürchten lässt.
Herzliche Grüße Christoph Deeg
PS: nach einer anderen Theorie hat Adriano Celentano mit diesem Song ausdrücken wollen, dass Musik überall funktionieren kann und keine dezidierte Sprache benötigt.