Wirtschaftskrise durch Corona oder unsere digitale Unfähigkeit?

Die Corona-Krise hat einen umfassenden Einfluss auf unser Leben. Und so langsam wird klar, dass niemand die Folgen absehen kann. Im Moment geht es richtigerweise darum, Menschen zu retten. Die gesellschaftliche Vollbremsung ist die logische Konsequenz aus der aktuellen Situation. Aber der damit verbundene Transformationsprozess kommt erst langsam in Gang.

Wir haben erlebt, dass unser Leben in verhältnismäßig kurzer Zeit auf den Kopf gestellt wurde. Unsere Antwort ist primär eine Anpassung an die aktuelle Situation. Die Intensität der Veränderung wird so nur temporär existieren. Aber das bedeutet nicht, dass damit ein Normalzustand zurückkehrt. Es scheint so als würden nach der medizinischen Welle die wirtschaftliche und in kurzem Abstand die soziale, die kulturelle und die gesellschaftliche Welle auf uns zukommen. Aber was ist dann Normalität?

In den nächsten Monaten oder sogar Jahren erleben wir einen mehrdimensionalen Transformationsprozess. Dabei sind alle Elemente dieses Prozesse miteinander verbunden. Dabei stellt dies nicht die einzige Herausforderung dar. Im Gegenteil: Der Klimawandel, Migration, Extremismus, Digitalisierung. Diese Themen haben einen mindestens genauso großen Einfluss auf unsere Lebensrealität.

Der Digitalisierung kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie ist zum einen eine der großen Herausforderungen und zum anderen der zentrale Enabler für die Lösung vieler weiterer Aufgaben. Jedoch stehen wir auch hier erst am Anfang. Die digitale Infrastruktur in Deutschland ist eine Katastrophe. Jetzt, wo ein massiv höherer Bedarf an digitalen Angeboten besteht, steht nicht ausreichend Bandbreite zur Verfügung. Und schon werden Plattformen aufgefordert, Ihre Bandbreite zu drosseln. Das ist nicht nur peinlich, es ist verheerend, denn es bedeutet, dass wir nicht über die Rahmenbedienungen verfügen, die wir benötigen, um unsere Gesellschaft weiter zu entwickeln. Oder um es überspitzt zu formulieren: viele Jobs werden nicht aufgrund des Corona-Virus verlorengehen, sondern weil wir unsere technologischen Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Aber damit nicht genug. Wir sind ebenso wenig kulturell und funktional auf diese neue Lebensrealität vorbereitet. Wir müssen erstmal lernen, Prozesse digital umzusetzen, Meeting digital zu halten etc. Unabhängig davon, dass es in vielen Organisationen und Unternehmen schon technisch kaum lösbar ist, sind auch keine erweiterten Kommunikationsmodelle implementiert worden. Und so werden vielerorts einfach analoge Kommunikationsmuster ins Digitale übertragen. Damit sind Frustration und Demotivation vorprogrammiert. Diejenigen, die nun plötzlich zu 100% in die digitale Welt geschleudert werden, reagieren mit Ablehnung und machen nur das, was unbedingt nötig ist während diejenigen, die damit sehr gut umgehen können bzw. schon immer ihre Zukunft in einer digital-analogen Arbeitswelt sahen, durch schlechte Infrastruktur, nicht-kompatible Prozesse und die Verweigerungshaltung mancher Kollegen extrem gefrustet sind. Es rächt sich jetzt, dass wir uns in den meisten Organisationen über Jahre hinweg im Kontext der Digitalisierung um die diejenigen gekümmert haben, die nicht wollten und nicht konnten. Diejenigen, die etwas bewegen wollten, die Ideen hatten und längst digital sozialisiert waren, haben wir zu oft allein gelassen. Ihre Kompetenzen wurde belächelt oder zumindest nicht gefördert. Und so trennte diese Gruppe zusehends ihre digitale Arbeitsrealität von ihrem digitalen Privatleben. Sie schlugen sich mit veralteten Strukturen und Technologien rum, während sie privat Gilden und Clans führten und digitale Weltreiche schufen.

Aber damit nicht genug. Überall schießen neue Streamingplattformen aus dem Boden. Man möchte bei den Kreativen (der Begriff ist übrigens nicht klar definiert) retten, was zu retten ist. Und ja, diese Idee ist an sich richtig. Die Kreativen sind systemrelevant – auch wenn das so manchem Zeitgenossen noch immer nicht in den Kopf gehen will. Und ja, wir müsse auch hier etwas tun. Aber diese neuen Angebote sind nicht innovativ. Streaming im Kreativbereich gibt es schon lange und man hat zu lange gewartet, den digitalen Teil unserer Kultur-Gesellschaft aktiv zu gestalten. Und nochmal: ja, es ist richtig und wichtig, den Kreativen zu helfen, aber wir müssen Strategien entwickeln, die wirklich digital sind und sich nicht einfach nur digitaler Plattformen bedienen. Trotzdem unterstütze ich die vielen Initiativen aus vollem Herzen. Aber es kann nur ein allererster Schritt sein.

Was wir lernen müssen ist: in den letzten Jahren haben wir sehr oft darüber gesprochen, dass die Digitalisierung dazu führen wird, dass immer mehr Jobs verschwinden. Nun verschwinden Job durch die Corona-Krise und unsere digitalen Modell reichen nicht aus, um adäquat darauf zu reagieren. Die Corona-Krise ist vielleicht nur der Auslöser, der Beschleuniger, aber sie ist auf lange Sicht nicht das Problem.

Gleichwohl geht es jetzt nicht um Aktionismus. Dies hat im Kontext der Digitalisierung auch in der Vergangenheit nicht funktioniert. Es gibt zu viele Apps.. Games, Webseiten, Social-Media-Auftritte aber auch Makerspaces etc. bei denen die Unternehmen und Organisationen, dies sie anbieten oder nutzen gar nicht wissen, warum sie dies überhaupt im Angebot haben. Zu oft wurden digitale Angebote entwickelt und umgesetzt, nur um im Jahresbericht zeigen zu können, dass man doch etwas im Kontext der Digitalisierung gemacht. Nicht umsonst reden wir von digitaler Transformation und nicht von Technik-Kauflisten.

Digitale Transformation ist keine kleine Projektarbeit. Es ist kein Sprint, es ist ein Marathon und wir sind zumindest in Teilen noch nicht einmal losgelaufen.

Auf Youtube hab ich vor einigen Tagen mein Corona-Transformation-Tagebuch begonnen und seitdem jeden Tag ein Video produziert. Ich würde mich freuen, wenn wir ins Gespräch kommen würden…

Christoph Deeg

One thought on “Wirtschaftskrise durch Corona oder unsere digitale Unfähigkeit?

  1. ‚Jobs verschwinden‘ – richtig und sichtbar. Aber verringert sich auch deren Anzahl?
    Ich sehe in meinem Umfeld Menschen, deren Arbeitsschwerpunkte sich im Moment stark verschieben. Andere bilden in einer Geschwindigkeit neue Fähigkeiten aus oder eignen sich kurzfristig neue Kenntnisse an, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Also entsteht da auch Neues / Anderes.
    ‚Beschleuniger‘ ist das richtige Stichwort. Corona hat uns vom Nahverkehrszug auf die Hochgeschwindigkeitsbahn katapultiert. Nur kommen wir jetzt nicht mehr -wie erwartet- im Nachbarort an, sondern im Grunde liegt unsere Destinition noch nebulös in der Ferne. Dieser ferne Ort entsteht aber gerade erst – wächst noch nach den Regeln aus der Vergangenheit. An dieser Stelle ist noch viel zu tun – hier braucht es Visionäre, Utopisten und Realisten …, die eine ‚bessere‘ Welt gestalten.
    ‚The show must go on‘ – ja! Aber welches Stück wollen wir denn sehen?

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