In diesem zweiten Beitrag soll es um die Definition des Begriffes „Narrativ der Transformation“ gehen. Jeder Transformationsprozess hat ein eigenes Narrativ. Und jeder Transformationsprozess ist abhängig von dieser Erzählung, dieser Wahrnehmung. In vielen Prozessen habe ich die Möglichkeit vor der eigentlichen Arbeit in Workshops eine längere Phase der Analyse des jeweiligen Systems durchzuführen. Hier spielt das Narrativ der Transformation eine große Rolle. Analyse bedeutet nicht nur die Beschäftigung mit dem generierten Output. Sie bedeutet auch die Betrachtung des zurückgelegten Weges. Es geht also sowohl um das „Was?“ als auch um das „Wie?“. Das Narrativ der Transformation ist quasi die Geschichte dieses Weges. Und diese Geschichte ist in der Regel sehr komplex. Was beinhaltet aber ein Narrativ der Transformation?
Das Narrativ als Weg ein System zu lesen
Das Narrativ einer Transformation ist nichts anderes als die verschiedenen Erzählungen, Wahrnehmungen, Rituale und Kommunikationsformen, die sich innerhalb einer Organisation entwickeln, und die beschreiben, wie sich die Organisation im Bereich von Veränderungsprozessen verhält. Es gibt also nicht nur ein Narrativ. Es gibt vielmehr eine Vielzahl von Perspektiven und Sichtweisen, die zusammen die Wahrnehmung des Prozesses ergeben. Ich versuche in meiner Arbeit immer zum Kern des Narratives vorzustoßen. In der Analysephase ist es sehr wichtig, dass man das System umfassend verstehen kann. Ich konzentriere mich also nicht nur auf offizielle Darstellungen, sondern ebenso auf das Narrativ der Gruppe. Ich versuche zwischen den Zeilen zu lesen.
Die Suche nach der Transformation-History
Schauen wir uns nun die einzelnen Elemente des Narratives genauer an. Jede Organisation, jedes System, jeder Raum entwickelt im Laufe der Zeit eine eigene „Transformation-History“. Diese History ist nichts anderes als das organisationseigene Transformationsgedächtnis. Es agiert quasi wie ein Speicher, in dem alle Prozesse, Strukturen, Formate, Perspektiven, Erfolge, Niederlagen etc. abgespeichert werden. Die Speicherung erfolgt nicht als Datei auf einem Server, sondern in „den Köpfen der Menschen“. Es agiert also als kollektiver Datensatz, der immer wieder von jedem Individuum neu bewertet, verändert, kommuniziert und damit weiterentwickelt wird.
Die Elemente des Narrativs
Für mich ist wichtig zu verstehen, wie Transformation erzählt wird. Ein guter Einstieg ist die Betrachtung der Vergangenheit, der Gegenwart, und den Sichtweisen hinsichtlich der Zukunft. Dabei muss man unterscheiden, zwischen den Erzählungen, die offiziell, in der Regel durch die Führung, erzählt werden, und der Erzählung, die sich im Team befindet. Es geht also um den Unterschied zwischen der offiziellen und inoffiziellen Transformation-History. Letzteres funktioniert sehr oft nach dem Modell der stillen Post.
Damit man mich nicht falsch versteht, es geht mir nicht darum, diese Erzählungen zu kontrollieren. Es geht nicht darum den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu denken haben. Aber jede Perspektive, jedes Individuum, jede Aktivität erzeugt einen Effekt im System. Durch die Beschäftigung mit dem Narrativ der Transformation wird unter anderem die Diversität im System sichtbar. Gerade in Zeiten, in denen der Wunsch nach Standardisierung und klaren Strukturen immer größer wird, ist es wichtig zu verstehen, dass dies auf den ersten Blick auf der prozessualen Ebene zwar funktionieren mag, die Diversität innerhalb des Systems aber trotzdem erhalten bleibt.
Neben der Unterscheidung zwischen offiziellem und inoffiziellem Narrativ sind noch weitere Perspektiven möglich. Da ist zum einen der Unterschied zwischen dem Kollektiv und dem Individuum. Wir haben sowohl ein kollektives als auch ein individuelles Transformationsgedächtnis. Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit ist die Aufteilung in gelernte und gewollte Erzählungen. Erstere passieren in der Regel auf den Erfahrungen, die sich aus Transformationsprozessen ergeben haben. Letztere beschreiben sehr oft das, was primär Leitungsebenen als neues Denkmodell bzw. als neue Realität vorgeben möchten.
Narrativ und Kultur
Das Narrativ der Transformation beziehungsweise die Transformation-History einer Organisation sagt viel über die Transformationskultur und damit über die Organisationskultur aus. Hierbei fällt mir immer wieder auf, dass viele Führungspersonen glauben, man könne Kultur steuern oder vorgeben. So wird zum Beispiel von Mitarbeitern verlangt, „anders zu denken“. Kultur ist aber nichts, was ich vorgeben oder bestimmen kann. Kultur entsteht durch eine Vielzahl von Interaktionen, Handlungen, Ritualen etc. Ich kann nur systemische Rahmenbedingungen vorgegeben, die eine Weiterentwicklung der Kultur begünstigen sollen. Eine direkte Einflussnahme auf die Kultur einer Organisation ist also gar nicht möglich. Das Narrativ der Transformation kann also nicht nur helfen, ein System besser zu verstehen, es kann auch bei der Entwicklung der passenden Rahmenbedienungen genutzt werden.
Wenn man sich intensiv mit dem Narrativ der Transformation beschäftigt, so erkennt man verschiedene Effekte und Optionen, die bei der aktiven Entwicklung einer Transformation-History hilfreich sein können. Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass das Narrativ nicht nur einen Prozess beschreiben soll, sondern vielmehr darstellt, wie sich die Organisation innerhalb des Prozesses sieht. Über das Narrativ einer Transformation kann auch Akzeptanz von bestimmten Normen und Verhaltensmustern definiert werden. Die Auseinandersetzung mit dem Narrativ, bedeutet also eine aktive Reflektion des Ist-Zustands.
Im Narrativ der Transformation geht es aber auch um den Effekt der Überhöhung. Überhöhung ist nichts anderes als die fiktionale Erweiterung des vorhandenen Optionsraumes. Überhöhung ist auch eine Art eines Labors. Überall in der Welt können wir Kulturorte besuchen, die letztlich vom Modell der Überhöhung ausgehen. So ist zum Beispiel eine Bibliothek ein Ort der Überhöhung der Buchkultur. (natürlich haben sich Bibliotheken weiterentwickelt, jedoch gehört die Buchkultur noch immer zu ihrem Markenkern, was auch gut ist) Die Überhöhung gibt uns die Möglichkeit, nicht nur über Prozesse und Strukturen sondern auch und vor allen über die Bindung der einzelnen Mitglieder der Organisation an den Prozess nachzudenken. Denn der Grund, warum Mitglieder einer Organisation eine bestimmte Perspektive auf Veränderung haben, ist in der Regel sehr unterschiedlich.
Über das Narrativ können wir zudem die verschiedenen vorhandenen Rollenmodelle analysieren. Dabei unterscheide ich immer zwischen gewünschten und real vorhandenen Rollen. Innerhalb dieser Modelle ist es eben so sinnvoll, zwischen sozialen und formalen Rollen zu unterscheiden. Damit ist gemeint, dass wir in Organisationen in der Regel zwar klare formale Strukturen haben, diese aber durch soziale Rollen aufgeweicht werden. So mag es sein, dass die Verantwortung für Transformationsprozesse bei Führungskräften liegt, die zwar formell die Kompetenz haben, den Prozess zu leiten, die aber im System diesbezüglich keine soziale Funktion haben.
Dies sind nur ein paar grundsätzliche Gedanken zur Idee des Narrativs der Transformation. In meinem nächsten Beitrag möchte ich mich mit der Perspektive des Spiels auf das Narrativ der Transformation beschäftigen. Ich möchte überlegen, wie Spielmechaniken helfen können, mit dem Narrativ der Transformation zu arbeiten (Gamification) bzw. wo eben jene Mechaniken helfen können, ein solches Narrativ besser zu verstehen (Game-Thinking).
Beste Grüße
Christoph Deeg