Transformation und Gamification – Jahresrückblick 2019 – Teil 2

In meinem letzten Beitrag ging es um einen Rückblick auf meine Arbeit im Jahr 2019 und die Frage, was ich daraus mitgenommen habe. In diesem Beitrag soll es nun um das Geschehen um mich herum gehen. Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, nur auf die eigene Arbeit und die eigene Perspektive zu schauen. Um uns herum passiert sehr viel und die meisten dieser Dinge haben einen Einfluss auf meine Arbeit, auf mein Umfeld, auf meine gesamte digital-analoge Lebensrealität. Sie sind Teil meines Optionsrahmens. Aber damit nicht genug. Wenn wir uns mit dem Themen Transformation und Spiel beschäftigen, dann entsteht daraus meiner Ansicht nach ebenso eine Verantwortung. Es geht um die Verantwortung hinzusehen, sich einzumischen und die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten einzubringen. Zudem kann ich selber etwas lernen und neue Perspektiven kennen lernen. Gegebenenfalls lerne ich so sogar Perspektiven kennen, die ich mich stören oder nicht meinen Vorstellungen entsprechen. Somit werde ich gezwungen, mich mit anderen Sichtweisen zu beschäftigen.

Ich könnte jetzt eine Vielzahl an Beiträgen zu allen möglichen Themen aus dem Jahr 2019 veröffentlichen. Aber auch hier soll es nicht einfach um Themen, sondern um meine Erkenntnisse daraus gehen. Beginnen wir mit etwas einfachem: die EU-Urheberrechtsreform. es gab viele Proteste, es gab Wut und Enttäuschung. Ich möchte jetzt nicht die ganze Reform neu aufrollen und mich auf die Kernprobleme beschränken. Der Gedanke war, dass man Urheber besser schützen wollte. Genauer gesagt sollte verhindert werden, dass überhaupt neue urheberrechtlich geschützte Inhalte veröffentlicht werden. es ging also nicht mehr um die Löschung bereits online gestelltem Materials, sondern um die komplette Kontrolle dessen, was überhaupt online verfügbar ist. Auf den ersten Blick mag dieser Gedanke nachvollziehbar sein. Immerhin wird somit überhaupt verhindert, dass Urheber überhaupt Gefahr laufen, die Kontrolle über ihre Inhalte zu verlieren. Zudem muss man fairerweise anmerken, dass es nicht richtig erscheint, wenn Urheber nicht selbst über die Vermarktung ihrer Inhalte entscheiden dürfen, weil diese schon von Dritten online gestellt werden. Schaut man jedoch genauer hin, kann man sehr schnell erkennen, warum die Aufregung so groß war. Eine Umsetzung dieser Richtlinie bedeutet letztlich die Einführung von sog. Uploadfiltern. Diese Filter überwachen den Upload von Dateien und sollen verhindern, dass urheberrechtlich geschütztes Material überhaupt online erreichbar ist. Es gibt letztlich keine Alternative zu diesen Filtern, denn die Plattformen, auf denen Inhalte zur Verfügung gestellt werden, sollen für etwaige Urheberrechtsverstöße haften. Dieses Risiko bedeutet also nicht nur, dass es Uploadfilter geben wird. Diese Filter werden auch mit Sicherheit so eingestellt werden, dass lieber zu viel als zu wenig gefiltert wird. Anders ausgedrückt: um zu verhindern, dass urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlicht wird, wird auch Material herausgefiltert werden, das gar nicht geblockt werden muss.

Für mich ist dieser Ansatz extrem schwierig. Es wird passieren, dass Inhalte öffentlich nicht mehr zur Verfügung stehen, bei denen es gar keinen Urheberrechtsverstoß gibt. Zudem gab es in der Vergangenheit immer wieder Fälle, bei denen das Urheberrecht missbraucht wurde um die Veröffentlichung von z.B. politisch brisanten Informationen zu verhindern. Darüber hinaus werden – leider nicht zum ersten mal – kommerzielle Unternehmen mit der Umsetzung von Filtern beauftragt. So werden Unternehmen zu einem verlängerten Arm der Exekutive. Ich möchte aber nicht, dass wir die Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen Unternehmen überlassen, die zudem auch nicht zu 100% unseren Gesetzen unterliegen. Das Hauptproblem ist aber ein anderes. Dieser Prozess – und ich betreibe hier jetzt nicht Politik-Bashing – hat wieder einmal gezeigt, dass die politisch Handelnden in der Breite weder über ausreichendes Wissen noch über ausreichendes Interesse an den Themen Digitalisierung und Digitalität haben. Bis auf ein paar wenige Protagonisten handeln sie letztlich auf Basis der Zurufe von Lobbyisten. Dies ist gefährlich, denn die „digitale Welt“ ist kein abgeschlossenes System. Im Kontext „digital-analoger Lebensrealitäten“ wird die Digitalisierung zu einer Querschnittsfunktion unserer Gesellschaft. Wir müssten vielmehr über die Vernetzungen und Rückkopplungseffekte zwischen digitaler und analoger Lebensrealität nachdenken und diese gestalten. Aber von dieser Erkenntnis sind wir noch immer Lichtjahre entfernt. Im Gegenteil: Meiner Meinung nach lassen sich in diesem Kontext zwei große Problembereiche erkennen:

Da ist zum einen die noch immer mangelnde und in Teilen katastrophale digitale Infrastruktur. Sie wird in öffentlichen Diskussionen gerne als Kern der Digitalisierung dargestellt. Es heißt dann, man wolle jetzt aber wirklich die Digitalisierung machen und meint damit den Ausbau der Infrastruktur. Aber mit dem Ausbau, so wichtig er auch ist, ist das Thema Digitalisierung noch lange nicht abgeschlossen. Es ist nur der zentrale Enabler, um die nächsten Schritte zu gehen. Anders ausgedrückt, wir sind noch nicht mal in der Lage, den Enabler zu aktivieren. Zudem – und dieser Punkt ist eng mit der Enabler-Funktion verbunden – haben wir bis jetzt keine Options- und Innovationsräume für die Digitalisierung. Gerade weil die Digitalisierung einen so umfassenden Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft hat, brauchen wir Labore, in denen andere Wege ausprobiert werden können. Ich rede von Kulturorten und nicht von Unternehmen. Letztere definieren Innovation immer aus der Sicht eines Geschäftsmodelles. Kulturinstitutionen sind da viel freier, halten sich aber in der Breite aus der Gestaltung des digitalen Teils unserer Gesellschaft raus. Schwierig ist zudem, dass wir in diesem Kontext zunehmend eine verdrehte Wahrnehmung entwickeln. In den letzten Jahren ist natürlich einiges passiert. Digitale Angebote, Social Media etc. können wir nahezu in jeder Kultur- und Bildungsinstitution finden. Es scheint so, als hätte man sich vom „digitalen Schock“ erholt und habe alles unter Kontrolle. Aber zwei Details werden dabei übersehen:

  • Die Anzahl neuer digitaler Angebote sagt nur bedingt etwas über den Digitalisierungsgrad einer Organisation aus. Die Frage ist nämlich, wie diese Technologien implementiert wurden und wie die Organisationskultur an diese neue digital-analoge Lebensrealität angepasst wird. Anders ausgedrückt: es geht nicht darum, möglichst viele neue digitale Technologien zu nutzen bzw, anzubieten. Es geht darum eine umfassende digital-analoge Gesamtstrategie zu entwickeln und umzusetzen.
  • Es reicht nicht aus, den eigenen Fortschritt zu betrachten. Es ist natürlich verlockend, sich nur darauf zu konzentrieren, aber es reicht bei weitem nicht aus. Ebenso wichtig ist der Blick nach außen und die Frage, was im selben Zeitraum qualitativ und quantitativ dort passiert ist.

Schließlich ist das Thema des Klimawandels besonders relevant gewesen. Dabei habe ich angefangen, mich primär um mich und meinen Lebensstil zu kümmern. Und ja, ich bin kein Jesus. Ich bin nicht perfekt. Ehrlich habe ich noch nicht mal versucht, perfekt zu sein. Aber es gab diesen Moment im letzten Jahr, an irgendeinem Flughafen mit irgendeinem fancy Projekt, an dem ich mich fragte, was ich da eigentlich mache. Und ich begann einen Dialog mit mir selber. Ich versuchte meinen Lebenswandel zu verstehen und zu hinterfragen. Und ich überlegte mir, was ich anders machen kann. egal wie ich es drehe, ich kann nur dann helfen, den Klimawandel zu bekämpfen, wenn ich versuche tiefgreifend etwas zu ändern. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es muss vielleicht übermorgen sein. Ich werde jetzt nichts versprechen. ich werde keine Feigenblatt-Aktivitäten starten, sondern ich möchte mein Geschäftsmodell so umbauen, dass es aktiv hilft, etwas zu ändern. Dafür werde ich Hilfe brauchen, von meinen Kollegen, meinen Kunden und meinem privaten Umfeld. Es wird ein Teil meiner Arbeit im Jahr 2020 sein, herauszufinden, wie ich meinen Job machen und gleichzeitig unseren Planeten schützen kann. Ich bin kein Vorbild. Und ich möchte auch kein Vorbild sein oder werden. Ich möchte aber einen Weg finden, meine Passion, meinen Beruf zu leben und mit Leben zu füllen und gleichzeitig die Zukunft z.B. meiner Tochter zu sichern. Ich werde vielleicht nicht viel vererben, aber vielleicht kann ich viel mehr tun. Ein ketzerischer Gedanke zum Schluss: Wäre es ein Ansatz, einen Erbschaftssteuer von 100% einzuführen, die dann sinkt oder wegfällt, wenn man das Geld in 100% in zukunftsweisende, klimaschonende Projekte investiert? Was würde das bedeuten?

Beste Grüße

Christoph Deeg

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