Das neue Jahr hat begonnen und es ist wieder Zeit für einen neuen Beitrag. Genauer ist es der erste Beitrag einer kleinen Serie aus drei Beiträgen, die zusammen einen Jahresrückblick auf das Jahr 2019 bilden. Nun mag man sich fragen, warum ich erst im Januar einen Jahresrückblick veröffentliche. Die Antwort darauf ist einfach und zugleich vielschichtig: zum einen lese ich im Dezember eine Vielzahl an Jahresrückblicken und frage mich immer, ob die Vor-Weihnachtszeit und die Zeit zwischen den Jahren wirklich die richtigen Zeiträume dafür sind. In der Vor-Weihnachtszeit sind alle mit dem Abschließen von Prozessen und Projekten beschäftigt. Es gibt sehr viel operatives Handeln. Der Schreibtisch soll leer werden und in Teilen müssen noch Schnell Budgets ausgegeben werden. Zudem hetzen alle durch die Konsumtempel und überlegen, was sie dieses Jahr wem schenken wollen. Wo bleibt da Zeit, um sich mit einem persönlichen Jahresrückblick zu beschäftigen? Zum anderen brauchte ich etwas Zeit für mich, für Reflektion, für einen Prozess des Innehaltens. Ich möchte keinen Jahresrückblick veröffentlichen, bei dem ich einfach nur schreibe, dass auch dieses Jahr wieder genial, einzigartig usw. war. Mich ermüden diese ganzen Marketing-Rückblicke zusehends. Das individuelle und zugleich kollektive Schulterklopfen hat nur wenig Substanz. Und so habe ich die Zeit genutzt, um mich auszuklinken und nachzudenken. Und nun kann ich auch über das Jahr 2019 schreiben. Zudem – und das ist ein ebenso wichtiger Grund – wollte ich ein paar Wochen Ruhe haben. Ich wollte Zeit mit meiner Tochter und meiner Frau verbringen. Ich wollte die Familie und Freunde treffen und ich wollte Musik hören. (Über das Thema Musik werde ich bald noch einen Beitrag veröffentlichen). Anders ausgedrückt: ich hatte einfach keine Lust zu arbeiten…
Kommen wir aber nun zum Jahr 2019. Ich könnte es mir einfach machen und einfach über die vielen großartigen Projekte und Entwicklungen schreiben. Ich könnte über meine beruflichen Reisen in ferne Länder wie Süd-Korea, Usbekistan, Georgien, Spanien, Bolivien, Chile, Kolumbien etc. sprechen und wie großartig es dort war. Ich könnte ebenso über die Inhalte der Projekte reden. Dazu gehört natürlich das Projekt „gameON2025“, bei dem ich im Rahmen der Bewerbung Nürnbergs als Kulturhauptstadt Europas mit verschiedenen Institutionen der Metropolregion Nürnberg Spiele zu Kulturräumen entwickelt habe. Dazu gehört auch die Arbeit als Berater für digitale Transformationsprozesse, bei dem ich u.a. zwei Banken und viele weitere Institutionen und Unternehmen beraten und begleitet habe. Natürlich ist meine Tätigkeit bei der Strategieentwickelung und -Umsetzung des „Haus des Spielens“ in Nürnberg ein Highlight. In diesem Kontext muss ich auch meine Arbeit bei der Entwicklung von Bildungs- und Kulturorten benennen, bei der ich Themen wie Digitalität und Spiel mit Architektur verbinde.
Ja, ich könnte sehr viel schreiben über alle diese Themen. Aber letztlich ist es auf eine gewisse Art und Weise nicht wichtig, was ich gemacht habe, sondern was es bedeutet, was ich mitnehme, was ich gelernt habe. Und das Jahr 2019 war voller Lerneffekte und voller Perspektivwechsel. Ich weiß nicht mehr den Tag, aber es war in einem Meeting mit den Führungskräften einer Bank. Wir diskutierten über die digitale Transformation des Hauses der Bank und ein Vorstand meinte plötzlich, es ginge doch eigentlich gar nicht um Digitalisierung, sondern um Transformation. Nun, ich weiß, ich habe dies so schon immer gesagt. Jedoch löste dieser Satz etwas in mir aus. Ich verstand, dass meine Arbeit immer weniger mit den klassischen Themen der Digitalisierung zu tun hat. Es geht vielmehr um die Entwicklung von Rahmenbedienungen, die Veränderung ermöglichen und unterstützen. Die Digitalisierung ist dabei nur ein Thema von vielen. Und in meinen Projekten spiegelt sich dies wider. In allen meinen Projekten hat sich meine Aufgabe verändert. Daraus resultierte auch die Beschreibung „Gestalter des digital-analogen Lebensraumes“. Zugegeben, sie basiert auch ein bisschen auf der Tatsache, dass ich zunehmend Schwierigkeiten habe, zu beschreiben, was ich eigentlich tue. Bin ich Berater für digitale Transformation? Bin ich Spieldesigner? Bin ich Entwickler von Gebäuden auf Basis von Spielmechaniken? Und immer muss ich erklären, dass ich all das bin. Und letztlich geht es dabei immer um das gleiche Thema: Transformation. Die Themen, wie z.B. Gamification oder Digitale Transformation sind nur die Kontexte bzw. die Auslöser, der Einladungsgrund.
Aber Transformation ist nicht einfach. Transformation ist keine Hausaufgabe, keine kleine Projektarbeit. Sie ist vielmehr eine Kernfunktion jeder Organisation. Sie finden andauernd statt. Und sie erzeugt ein kollektives Gedächtnis hinsichtlich des Umgangs mit Transformation. Es geht also nicht nur um Normen und Strukturen, es geht ebenso um die Wahrnehmung des Einzelnen innerhalb des Veränderungsprozesses.
Ein Transformationsprozess hat viel mit der Erschaffung einer (neuen) Realität zu tun. Und es geht um Rahmenbedienungen. Dies ist etwas, was ich im Jahr 2019 als weitere wichtige Erkenntnis mitgenommen habe: es geht in meiner Arbeit um das Schaffen von Rahmenbedienungen und nicht um den direkten Eingriff in ein System. Transformation ist kein Input-Output-System. Es geht nicht darum andere Menschen so „produzieren“. In vielen Gesprächen habe ich immer wieder mitbekommen, dass dies die Erwartungshaltung ist: man müsse neue Menschen schaffen, die in Zukunft anders handeln und denken. Dies führt dann zu ziemlich sinnentleerten Prozessen. Aber auch die Frage des „warum Veränderung“ ist wichtig. Wird Veränderung wirklich gewünscht? Und bedeutet dies eine Veränderung für alle Mitglieder der Organisation? Geht es um ein „Wir verändern uns“ oder um ein „Die sollen sich verändern“? Schließlich sind manche Transformationsprozesse auch eine Manifestation von Unsicherheit und einer fehlenden Strategie. Dann werden Veränderungsprozesse begonnen, damit man „nachweisen“ kann, dass man doch etwas gemacht hat.
Wie gesagt, viele der genannten Punkte waren mir schon seit Jahren bewusst, aber im Jahr 2019 kamen sie wieder in mein Bewusstsein. Ich hatte vor mehr als einem Jahr davon gesprochen, dass ich einen eigenen Transformationsprozess begonnen habe. Dieser Prozess hat stattgefunden und hält noch an. Aber er ist anders verlaufen als gedacht. Ursprünglich war geplant, Themen und Ziel- bzw. Kundengruppen zu minimieren. Und dies ist mir definitiv nicht gelungen. Aber die einzelnen Inhalte, Themen, Gruppen wurden nun auf einer Metaebene viel stärker miteinander verbunden. Es fühlt sich nicht mehr so an, als würde ich „auf zu vielen Hochzeiten tanzen“. Das bedeutet, ich muss neu lernen und neu entdecken. Dies werde ich tun, indem ich zum einen alle abgeschlossenen Projekte nochmal durchgehe und zum anderen nach neuen Perspektiven suche. Aus diesem Grund habe ich z.B. einen vierstelligen Betrag für Bücher ausgegeben, die nun in mehreren Türmen in meinem Arbeitszimmer stehen und darauf warten, zu meiner Transformation etwas beitragen zu können.
Spannend ist für mich die Frage, was Transformation für unsere Gesellschaft bedeutet. Denn es gibt viele Herausforderungen. Ich habe schon überlegt, ob wir irgendwann den Beruf des „Transformation-Managers“ in Organisationen haben werden. Auf jeden Fall müssen wir mehr über die Kernfunktion von Transformation nachdenken. Nun bin ich nicht die erste Person, die darüber nachdenkt. Viele meiner Kollegen stellen sich die gleichen Fragen und es gibt viele verschiedene Perspektiven auf das Thema. Ich werde mein Verständnis in verschiedenen Beiträgen veröffentlichen und hoffe sehr, dass daraus eine Diskussion, ein Diskurs entstehen kann.
Vielleicht entwickele ich mich ja zu einem Transformations-Generalisten…
Beste Grüße
Christoph Deeg