Liebe Leser,
ich bin mal wieder unterwegs. Morgen findet ein weiterer Workshop zur Digitalen Transformation einer Bank statt. Hierbei darf ich zusammen mit einer systemischen Beratungsfirma ein Modell zur digitalen Transformation einer Bank auf Basis von Gamification bzw. Game Thinking entwickeln. Im ersten Schritt geht es dabei um die Übersetzung aktueller und zukünftiger Prozesse, Muster und Rollen in eine Spiel-Logik. Jedoch soll hier kein Spiel oder ähnliches entstehen. Es geht auch nicht darum, die Mitarbeiter mittels Punkte und Auszeichnungen für die digitale Transformation ihrer Bank zu motivieren. Dieser erste Schritt dient viel mehr einer ersten Analyse und dem darauffolgenden Entwickeln von Prozessen und Strategien, die dann die digitale Transformation der Bank unterstützen sollen. Wir beginnen hier – das Projekt ist ein Kooperationsprojekt mit dem ARC-Institute, mit dem ich schon lange in unterschiedlichen Kontexten und Projekten zusammenarbeite – mit der Transformation der internen Revision, die durch ihre Struktur und Aufgabe mit jedem Bereich der Bank verbunden ist.
Im Anschluss, und nun komme ich zum eigentlichen Thema dieses Beitrages, reise ich dann nach Köln, um eine Woche die Gamescom zu besuchen, bzw. dort auch aktiv zu sein. Es ist nicht meine erste Gamescom und ich habe schon viele Beiträge zu Gaming geschrieben. Und ich möchte mich nun nicht wiederholen. Ich möchte vielmehr die Gamescom aus einer anderen Perspektive betrachten. Es geht heute nicht um die Perspektive der Gamer, der Games-Industrie oder auch der Gaming-Kultur. Ich möchte beschreiben, warum sich ein Besuch der Gamescom gerade für diejenigen lohnt, die sich eigentlich nicht als Zielgruppe für diese Veranstaltung sehen würden.
Die Gamescom wird immer noch bzw. immer wieder als „Nerd-Messe“ wahrgenommen. Und ja, die Gamescom steht nicht stellvertretend für alle Gamer/Spieler oder die gesamte digital-analoge Spielkultur. Sie ist nur ein Ausschnitt, eine Überhöhung, eine rituelle Handlung und sie ist zugleich der 100%ige Konsum. Ich mag dieser Veranstaltung sehr, auch wenn ich gar kein „Core-Gamer“ bin. Ich habe zu wenig Zeit, um all die Computerspiele zu spielen, die ich mein Eigen nenne. Und wenn ich Zeit habe, dann spiele ich im Moment eher Kartenspiele. Die Gamescom ist ein Konzentrat an digital-analoger Lebensrealität und deshalb sollte man sie gerad dann besuchen, wenn man kein Gamer ist.
Nehmen wir beispielsweise die digitale Transformation unserer Gesellschaft. Auf der Gamescom kann man sehen und erleben, wie Digitalisierung aussehen kann. Die Games-Branche ist wie ein Digitalisierungs-Turbo. Sie nutzt nahezu jede digitale Technologie, jeden digitalen Trend und versucht daraus etwas Neues zu entwickeln. Dabei ist sie in der Lage, diese neuen Technologien einem sehr breiten Publikum näher zu bringen. Themen wie Communitymanagement werden auf dieser professionellen Ebene und auf eine so breite Zielgruppe orientiert in kaum einer anderen Branche zu finden sein. Die Games-Branche schafft digital-analoge Lebensrealitäten, indem sie die älteste Kulturtechnik der Welt – das Spiel – mit Hochtechnologie verbindet. Damit man mich nicht falsch versteht: man kann und muss dies alles auch kritisch hinterfragen, aber zuerst sollte man es gesehen haben, bevor man darüber redet.
Die Games-Branche ist auch ein Spiegel unserer Zeit. Sie lebt von Geschichten und Überhöhung, von Innovation und Stillstand. Es ist eine Entertainment-Industrie und sie hat wie kaum eine andere Branche eine direkte Verbindung zu ihren Kunden. Quasi in Echtzeit entstehen und sterben Spielewelten. Die Gamer sind knallhart. Sie wollen ihr Spiel. Und es soll gut sein – was auch immer der Begriff der Qualität im Detail meint. Und trotzdem: das Zuhören – sei es qualitativ im Sinne des Communitymanagements oder technisch durch maximale Datenerhebungen – kann diese Branche wie keine andere.
Das Medium Spiel wiederum ist ebenso einzigartig. Egal wie bunt die neuen digitalen Spielewelten aussehen und sich anfühlen, sie basieren alle auf den gleichen Mechaniken wie die ältesten Spiele der Menschheit. Gewiss, sie sind anders, die Maschine erlaubt die Übersetzung von Regeln und Strukturen in multioptionale Erfahrungsräume und sie erlaubt die massenhafte Vernetzung von Millionen Spielern auf ein und dasselbe Spiel. Aber ihr Kern ist immer noch der gleiche wie zuvor. Gleichwohl ist es so, dass ein Spiel nicht existiert, wenn es nicht gespielt wird. Egal ob digitales oder analoges Spiel: sie existieren nur durch die Handlung und Wahrnehmung des Menschen: 100% Existenz durch 100% Interaktion. Alles weitere, die Spielkultur, die Story, die Farben, alles ist Schall und Rauch, wenn ein Spiel nicht gespielt wird.
Das bedeutet, bei der Erstellung des Werkes muss die Interaktion, muss die Motivation des Spielers nicht nur berücksichtigt, sondern zum Kern der Spielmechanik(en) werden. Ich muss Menschen verstehen, um für sie Spiele bauen zu können. Dabei ist der Prozess der Spielentwicklung extrem einfach und extrem schwierig zugleich. Er ist einfach, denn die Spielmechaniken sind bekannt und klar. Er ist schwer, weil die Kombination und Variation und die Mischung zu einem Spiel extrem schwierig sind. Es ist wie bei einem Koch. Alle Köche arbeiten letztlich mit den gleichen Zutaten. Und mancher macht aus Zwiebeln, Tomaten, Olivenöl, Knoblauch, Pfeffer und Salz etwas ungenießbares und der oder die andere macht aus den selben Zutaten die beste Pasta-Sauce der Welt.
Warum sollte man also die Gamescom besuchen, gerade wenn man kein Gamer ist? Die Antwort ist einfach: um zu lernen. Um sich selber zu erleben. Um Diversität auszuhalten und um die digitale Transformation unserer Gesellschaft zu verstehen. Auch wenn ich schon viele Male auf der Gamescom und ihrem Vorgänger der Gamesconvention war, ich lerne jedes mal wieder extrem viel.
Aber ich werde auch auf der Gamescom aktiv sein. Ich werde viele Kollegen treffen und viele Gespräche führen. Ich werde mit Vertretern von Banken über die Gamescom laufen und genau die eben beschrieben Lerneffekte initialisieren. Übrigens findet hier der Besuch der Gamescom vor allem mit einer Bank statt, bei der ich ebenfalls einen umfassenden digitalen Transformationsprozess umsetze und dabei genau diese Perspektive anwende.
Und ich werde das große Finale von „Enter Africa“ erleben. Vor zwei Jahren habe ich im Auftrag des Goethe-Instituts Addis Abeba ein Projekt ins leben gerufen, bei dem in 15 afrikanischen Staaten durch interdisziplinäre Teams local-based-games zur Zukunft afrikanischer Städte entwickelt wurden. Dieses Projekt ist massiv gewachsen und heute ist es eine afrikaweite Community, die sich auf der Gamescom präsentieren wird. Ich werde mir die neuen Spiele ansehen, viele Freunde treffen und natürlich auch über die Spiele und alles andere berichten.
Bis dahin beste Grüße
Christoph Deeg