Gaming im Kontext der digitalen Transformation – Rückblick auf die Gamescom 2018

Liebe Leser,

ich weiß eigentlich nicht genau wo ich anfangen soll. Ich möchte jetzt nicht über all die Neuheiten und spannenden Präsentationen an Spielen und neuer Hardware schreiben. Dies wird an anderer Stelle schon ausreichend getan worden sein. Ich möchte auf einen Umstand hinweisen, der mir auch erst im Nachhinein richtig klar geworden ist. Die Gamescom ist erwachsen geworden. Ich habe schon sehr viele dieser Veranstaltungen gesehen. Und immer wird das Ganze ein bisschen zu einer reinen Nerd-Veranstaltung. Irgendwie war es diesmal anders.

Natürlich gab es auch diesmal die große Besuche-Area. Und auch diesmal sind sehr viele Menschen nach Köln gepilgert um „Ihre“ Gaming-Kultur zu leben und zu feiern. Und dabei spielen Alter, Hautfarbe, Bildung, Status oder Religion keine Rolle. Und ja die Gamescom zeigt nur vielleicht 5% dessen was Gaming und Gaming-Kultur wirklich bedeuten. Es ist eine sehr kommerzielle Veranstaltung. Es ist aber auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. In den letzten Jahren mussten sich Gamer bzw. die Gamesindustry immer wieder für ihr Handeln rechtfertigen. Es ist so einfach, alle negativen Emotionen und Befürchtungen im Kontext der Digitalisierung auf die Welt des Gamings zu projizieren. Und natürlich gibt es vieles, was man hinterfragen und auch kritisieren kann und muss. Natürlich gibt es die Gefahr, dass Menschen spielsüchtig werden. Natürlich gibt es Gewaltdarstellungen in spielen. Und natürlich sollten wir dafür sorgen, dass es wie bei allen anderen Medien auch eine Reflexion über das eigene Konsumverhalten bzw. den eigenen Umgang mit Games gibt. Trotzdem war der Sound dieses Jahr anders. Es kam mir so vor, als wäre Ruhe eingekehrt. Die kontinuierliche Stigmatisierung der Gamer hat anscheinend aufgehört. Das bedeutet nicht, dass es nicht genügend Menschen gibt, die absolut gegen Gaming sind, und in Games und allen anderen digitalen Angeboten den Untergang der Menschheit sehen. Es gibt diese sog. „Experten“, die fleißig Bücher schreiben und in Talk-Shows auftreten und digitale Medien mal mit Alkohol und Drogen und mal mit dem Rotlichtmilieu vergleichen – ich verstehe immer noch nicht, warum diese Menschen eingeladen werden, während all die spannenden Projekte z.B. in Schulen nicht wahrgenommen werden. Aber die Kämpfe haben aufgehört. Niemand hat sich mehr darüber aufgeregt. Und das bedeutet nicht, dass es niemanden interessiert. Aber diese Themen wurden wieder und wieder und wieder und wieder durchgekaut und durchdiskutiert. Irgendwann war offensichtlich der Punkt erreicht, an dem alle Argumente ausgetauscht worden sind. Und wenn man sich die Gamescom ansieht, dann ist es zwar eine kommerzielle Messe, aber man findet ebenso eine Vielzahl an medienpädagogischen Angeboten, die sich intensiv mit den verschiedenen Facetten und auch den Gefahren des Themas Gaming widmen. Das bedeutet auch nicht, dass die Gaming-Welt kein Interesse mehr an einem Dialog hat. Aber man hat die Themen jetzt oft genug durchgesprochen. Und seien wir ehrlich: seit Jahren kommen keine neuen Argumente mehr auf den Tisch.

Und so haben wir die Möglichkeit, endlich über die vielen anderen Themen zu reden, die ebenfalls mit dem Bereich Gaming verbunden sind. Dazu gehört z.B. die Tatsache, dass Gaming wahrscheinlich die wichtigste Schnittstelle bzw. die wichtigste Ressource für die digitale Transformation unserer Gesellschaft darstellt. Es gibt meines Erachtens keinen anderen Bereich, indem moderne Kommunikations- und Medientechnologien in der Breite genutzt, ausprobiert, weiterentwickelt, neu gedacht, vervielfältigt und natürlich auch diskutiert werden. Es ist die Welt des Gamings, in der Technologien wie VR oder AR zuerst in der Breite ausgetestet werden. Und somit ergibt sich die Möglichkeit, zu verstehen, wie man solche Technologien bzw. die damit verbundenen Funktionen und Nutzungsoptionen gestalten kann, damit Menschen diese intrinsisch motiviert gerne nutzen wollen. Gaming bedeutet Innovation. Und für eine Gesellschaft wie die unsere, die seit vielen Jahren einen massiven Reformstau im Bereich der Digitalisierung hat, ist Gaming ein Geschenk des Himmels. Wie gesagt ich verschließe mich nicht vor den Gefahren und auch nicht den kritischen Diskussionen. Aber auf dieser Gamescom, so schien es mir, wurde endlich primär darüber gesprochen, welche weitreichenden Möglichkeiten sich durch die Nutzung von Gaming für unsere Gesellschaft ergeben. Diese Nutzungsmöglichkeiten gehen weit über irgendwelche wirtschaftlichen Erfolge der Gamesindustry hinaus. Ich wage sogar zu behaupten, dass die aktuellen Verkäufe bzw. die aktuellen Geschäftsmodelle der Gamesindustry vielleicht 5% bis 10% des wirklich potentiellen Marktes widerspiegeln. Denn wir haben noch gar nicht begonnen, Gaming wirklich flächendeckend in Kultur und Bildung, bei der digitalen Transformation unserer Gesellschaft, im Tourismus, bei der Weiterentwicklung unserer Unternehmen, bei der partizipativen Gestaltung unserer Städte, bei der Neugestaltung des öffentlichen Raumes, bei der Frage nach neuen medizinischen Konzepten, bei der Pflege, bei der Frage nach neuen Arbeitsmodellen und vielen weiteren Kontexten angedacht.(Es gibt immer wieder kleine Projekte, aber noch sind Gaming/Gamification/Game-Thinking nicht zu einer Querschnittsfunktion der digitalen Transformation unserer Gesellschaft geworden.

Und so war ich sehr froh, dass nun die Politik anscheinend verstanden hat, wie wichtig das Thema Gaming für unsere Gesellschaft ist. Und so freut es mich sehr, dass nicht nur in Nordrhein-Westfalen endlich in größerem Stile Geld zur Verfügung gestellt wird, um das Thema weiter anzuschieben. Dass dabei sogar ein Kompetenzzentrum Gamification entstehen soll, ist ein großer und wichtiger Schritt. Games sind das Leitmedium des 21 Jahrhunderts. Damit sind sie aber nicht nur wirtschaftlich wichtig. Sie stellen ebenso einen großen Teil der kulturellen Identität heutiger Generationen dar. Und sie stehen für eine große sich stetig wandelnde Wirtschaftsform. Für mich aber am wichtigsten ist das Verständnis, dass wir Spiele bzw. Spielmechaniken für nahezu jedes Problemfeld unserer Gesellschaft nutzen können. Dieser Ansatz ist nicht ganz neu. Immerhin nutze ich diese Mechaniken schon seit über 10 Jahren für meine Arbeit als Berater im Kontext digital analoger Transformationsprozesse bzw. Gamification und bei der Entwicklung von spielerischen Erfahrungsräumen, die es den Menschen ermöglichen, in unterschiedlichen Kontexten, sich und andere weiterzuentwickeln. Aber es freut mich, dass so langsam in der Breite verstanden wird welche Möglichkeiten hier vorhanden sind.

Und so hoffe ich, dass die Gamescom 2018 nicht nur ein wundervoller Geburtstag war, die Gamescom wurde nämlich zehn Jahre alt, sondern dass wir zurückblicken werden auf diese Gamescom als den Moment, an dem wir, ohne Risiken und Gefahren zu verneinen, angefangen haben, endlich die Möglichkeiten die sich aus Gaming ergeben, zu nutzen. Dazu gehört für mich auch die Möglichkeit, die Zukunft unserer Gesellschaft zusammen mit Institutionen und Unternehmen zu gestalten.

Ich möchte mir trotzdem noch einen letzten Gedanken zum Thema Gaming Kultur erlauben. Was viele Menschen vergessen, ist, dass die Gaming-Kultur aufzeigt, dass Kulturgüter nicht den Institutionen gehören. Es gibt bei vielen Teilen unserer Gesellschaft immer noch das Missverständnis, es gebe im Kultursektor so etwas wie eine Deutungshoheit. Ebenso scheinen manche Kulturinstitutionen zu glauben, die jeweiligen Inhalte würden ihnen gehören. Selbst wenn es ein Eigentum im juristischen Sinne geben würde, darf nicht vergessen werden dass letztlich all diese Güter den Menschen gehören. Dies ist nicht sozialistisch gemeint. Es geht mir vielmehr darum dass sowohl die Deutung als auch der Umgang damit einzig und allein von Menschen selber entwickelt entschieden und umgesetzt wird. Die Gamesindustry zeigt uns auch hier was das bedeuten kann. Denn die Spiele die gespielt werden, gehören letztlich gesehen nicht den Unternehmen die sie anbieten, sondern sie gehören denen die sie spielen. Die Gamesindustry muss und will kontinuierlich auf Kritik und Veränderungswünsche reagieren. Sie hat nicht die Deutungshoheit über ihre eigenen Werke. Und das will sie auch gar nicht. Sie ist vielmehr Teil einer riesengroßen Community, die letztlich gesehen ein gemeinsames Ziel hat: das Spiel.

Beste Grüße Christoph Deeg

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