Ihr wollt doch gar keinen Dialog – wie wir das Internet zerstören – Teil 1

Liebe Leser,
vor ein paar Tagen habe ich einen sehr interessanten Artikel von Christian Henner-Fehr zum Thema Content-Marketing gelesen. In diesem Beitrag ging um die Veränderungen der Relevanz bzw. der Reichweite zwischen den sozialen Medien wie z.B. Facebook und Suchmaschinen wie z.B. Google. Ich möchte jetzt nicht den gesamten Text wiederholen – ich kann nur empfehlen, ihn komplett zu lesen. Aber ein Satz bzw. ein Gedankengang ist mir dann doch sehr aufgefallen. Es ging um die Frage, wie man mit einfachen Mitteln auf die beschriebene neue Situation reagieren kann. Und eine Idee war, z.B. als Blogger nicht nur auf dem eigenen Blog zu schreiben, sondern auch auf anderen Blogs zu kommentieren. Genauer schreibt Christian Henner-Fehr:“Drittens: Backlinks sind auch heute noch wichtig. Der BuzzSumo Report hat herausgefunden: Mehr als 70% aller Inhalte generieren nicht einen einzigen Backlink. Das bedeutet: Niemand verlinkt auf meine Inhalte, wenn ich nichts dagegen tue. In den Zeiten vor Facebook und Twitter habe ich oft und gerne auf anderen Blogs kommentiert oder Themen auf anderen Blogs aufgegriffen. Auf diese Weise konnte ich die Sichtbarkeit meines Blogs erhöhen und bekam etliche Reaktionen auf meine Inhalte. Wenn heute Facebook und Twitter wieder an Bedeutung verlieren, spricht wenig dagegen, diese „alte Methode“ wieder aufzugreifen.“.
Nun mag das auf den ersten Blick nichts Besonderes sein. Vernetzung ist ein elementarer Bestandteil digital-analoger Kommunikation. Jeder halbwegs digital affine Mensch kann dieser Aussage zustimmen – nur warum wird es dann so selten gemacht? Ich habe mir ein paar Gedanken zu den von Christian Henner-Fehr geäußerten Punkten gemacht und diese in einem „offenen Brief“ verfasst:

Liebe Unternehmen, liebe Institutionen, liebe Organisationen, die Ihr im digitalen Raum (mehr oder weniger) aktiv seid.

Seien wir ehrlich. Ihr wollt keinen Dialog. In den letzten Jahren hat sich unsere Welt umfassend verändert. Das Internet hat sich durchgesetzt. Ich dachte auf diesen Umstand können wir uns einigen? Leider ist das aber in den Köpfen vieler Unternehmen, Institutionen und Organisation noch immer nicht angekommen. Damit man mich nicht falsch versteht: Ja, es ist viel passiert und kaum eine Organisation steht heute ohne ein digitales Angebot da. Aber Digitalisierung bedeutet nun mal nicht, einfach noch mehr Software bzw. digitale Angebote zu nutzen. Es bedeutet einen umfassenden Kulturwandel und eine Neu-Definition der eigene Identität.

Und so erleben wir nicht, dass versucht wird, den digitalen Raum aktiv zu gestalten. Wir erleben vielmehr, dass versucht wird mit den Konzepten, die schon im analogen Raum nicht wirklich funktioniert haben, nun den digitalen Raum zu bespielen. Eigentlich sollte ich glücklich sein. Es hat sich etwas verändert. Es gehört heute zum Standard, dass ein Unternehmen z. B. In den sozialen Medien aktiv ist. Und natürlich gibt es Unmengen an Unternehmen, die sich mit der Kommunikation im digitalen Raum beschäftigen. Aber hier entsteht das Problem. Denn offensichtlich wurde in der Breite weder von Unternehmen noch von Institutionen oder Organisationen verstanden, um was es im digitalen Raum eigentlich geht:

Es geht um einen Dialog auf Augenhöhe.Es geht nicht darum, sinnlos eine Kampagne nach der anderen zu starten. Es geht nicht darum, einfach zu versuchen den digitalen Raum zu zumüllen. Schaut man sich die Aktivitäten sehr vieler Unternehmen und Institutionen im digitalen Raum an, so erkennt man, dass sie sich immer noch primär auf den eigenen Seiten bewegen. Sie kommentieren nicht auf anderen Blogs, die sich mit demselben Thema befassen, sie werden nicht Teil von Communitys und versuchen zu zuhören und zu lernen. Sie Antworten auf Kommentare zu ihren eigenen Beiträgen in der Regel nur dann, wenn sie sich dabei für einen Lob bedanken können, oder aber wenn das Shitstorm-Management greift, und verzweifelt versucht wird das eigene schlechte Produkt oder den eigenen schlechten Service doch irgendwie wieder schön aussehen zu lassen.

Das ganze hat natürlich seine Geschichte. Schon mit dem Aufkommen des digitalen Raumes, wir nannten es damals Web 2. 0, begangen die Diskussionen um den heiligen Gral der Deutungshoheit. Viele Unternehmen und Institutionen hatten Angst davor, dass ihnen eben jene Deutungshoheit abhanden kommen könnte. Diese sinnlose Diskussion zeigte sehr deutlich das gesamte Dilemma. Denn der digitale Raum hat niemals die Deutungshoheit von Unternehmen und Institutionen in Frage gestellt. Der digitale Raum hat nur aufgezeigt, dass eben jene Deutungshoheit nie da war. Die Relevanz klassischer Medien im Sinne einer Kontrolle von Ideen oder auch der Kontrolle einer bestimmten Form von Diskussion, war nie vorhanden. Von diesem Schock haben sich viele bis heute nicht erholt. Und so ist es nur verständlich, dass viele noch immer versuchen, die gute alte Zeit wieder auferstehen zu lassen. Anders lässt sich nicht erklären, dass Heerscharen von PR-Agenturen, die irgendwann auch das digitale entdeckt haben, nun immer wieder sinnlose Kampagnen umsetzen dürfen. Nur so nebenbei bemerkt: ich freue mich für jede PR-Agentur, die im digitalen Raum reich werden kann. Immerhin wird sich dort einiges ändern, wenn künstliche Intelligenzen und Algorithmen für eine radikale Automatisierung sorgen. Der Social-Media-Manager wie wir ihn heute kennen, ist ein aussterbender Beruf.

Das Problem ist, dass Ihr liebe Unternehmen, Institutionen und Organisationen noch immer nicht verstanden habt, was da gerade passiert. Der Kulturwandel im Digitalen lässt sich nicht kontrollieren. Und es ist zudem noch nicht einmal ein digitales Phänomen. Wir erleben das Aufkommen der individuellen sich stetig verändernden digital-analogen Lebensrealitäten. Wir erleben komplexe Systeme, die sich kontinuierlich neu erfinden und wir erleben vor allem Vernetzung. Es geht also nicht darum, ob Ihr noch mehr Facebook-Seiten habt. Es geht auch nicht um die 100ste Tracking-Software. Es geht darum, ob Ihr mit dieser neuen digital-analogen Lebensrealität in all ihrer Diversität kompatibel seid.

Also stellt Euch die Frage: wollt Ihr wirklich einen Dialog? Wollt Ihr wirklich Vernetzung und Austausch? Seid Ihr bereit, zu akzeptieren, dass Ihr in Zukunft Teil von sich stetig verändernden Communitys seid, was bedeutet, dass Ihr Euch selber stets verändern müsst? Seid Ihr bereit Eure Management-Strategien und -Prozesse an diese Herausforderung anzupassen? Dann hört auch, mittels Kampagnen die eigene Nabelschau zu betreiben. Dann schaut Euch um. Lernt Eure digital-analoge Nachbarschaft kennen, seid bereit von Euren Communitys zu lernen und Euch gegebenenfalls neu zu erfinden. Am besten: stoppt alle Euren digitalen Aktivitäten für eine Woche und überlegt Euch, wie Ihr diese umsetzen würdet, wenn Ihr nochmal anfangen dürftet. Schlimmstenfalls stellt Ihr fest, dass Ihr keine Idee habt, wie Ihr das dann angehen würdet – auch diese Erkenntnis kann hilfreich sein.

Beste Grüße

Christoph Deeg

6 thoughts on “Ihr wollt doch gar keinen Dialog – wie wir das Internet zerstören – Teil 1

  1. Ja, das ist die entscheidende Frage: Was können wir tun und zwar jetzt und sofort. Ich glaube, wir müssen erstens versuchen, die Digitalisierung nicht nur als einen Technologiesprung zu verstehen, sondern erst einmal erklären, was sich dahinter eigentlich verbirgt und auf welchen Ebenen Transformationsprozesse ablaufen können bzw. müssen.

    Zweitens geht es darum, passende methodische Ansätze zu finden, um die Komplexität dieses Themas auch vermitteln zu können. Wir versuchen viel zu oft, Themen und Inhalte zu vereinfachen oder sie auf die technologischen Aspekte zu reduzieren. Das kann nicht die Lösung sein. Peter Kruse hat mal gesagt, dass wir der Komplexität der Welt und den daraus resultierenden Problemen nur dann erfolgreich begegnen können, wenn wir entsprechend komplexe Netzwerke entwickeln, um entsprechend komplexe Lösungen zu finden. An diesen komplexen Netzwerken müssen wir bauen und dann entsprechende Vorgehensweisen entwickeln. Du hast in einem Deiner Blogbeiträge über Game Thinking geschrieben. Ich beschäftige mich gerade unter anderem mit dem Thema Refraiming, um die Komplexität auch vermitteln zu können. Ich glaube, wir müssen uns derzeit nicht über Social Media, Content Marketing, etc. unterhalten, sondern über die methodischen Zugänge.

    1. Lieber Christian, ja und das Problem ist, dass wir uns da im Kreis drehen und das hat m.E. verschiedene Gründe:

      Da ist zum Einen die Tatsache, dass wir an die Grenzen der Umsetzung von Content Marketing und Co. kommen, weil wir das Fundament stärken müssen – ansonsten kann das Fundament die digitalen Aktivitäten nicht mehr tragen. Das bedeutet, wir müssen wirklich und endlich an die Strukturen und Prozesse gehen. Aber das ist längst nicht so fancy und spannend wie die Einführung von KIs oder VR-Brillen.

      Zudem stehen im Moment zwar finanzielle Ressourcen für Technologie aber kaum für solche Veränderungsprozesse zur Verfügung. Digitalisierung wird noch sehr analog und haptisch gesehen: es soll sofort sichtbar sein, dass da eine digitale Transformation stattfinden.

      Ein weiterer Punkt: wir müssen einen Weg finden, das alles greifbar und einfach zu machen – müssen aber gleichzeitig die Komplexität im Auge haben. Refraiming oder Game-Thinking wären spannende Ansätze – die man auch nicht dogmatisch nutzen sollte. Soll heißen, wir sollten schauen, welches Element aus welchem Ansatz passt wofür?

      Ich glaube noch immer, dass es der beste Weg wäre, eine Stadt zu finden, deren Kultursektor einmal komplett umgebaut wird. Ich meine damit wir sollten ein real existierende Gegenmodell haben, welches die Veränderungen greifbar macht. Das ist wahrscheinlich schwer zu realisieren – aber vielleicht müssten wir solche Institutionen simulieren – gegebenenfalls unter Einsatz von Game-Design oder ähnlichem. Dafür könnten wir dann auch KIs und Algorithmen anwenden etc.

      Was denkst Du?

      1. Lieber Christoph, ja, natürlich ist da nicht ein Methodenansatz der richtige, sondern es gilt, den jeweils passenden zu finden. Was schon mal eine gewaltige Herausforderung ist. Um Prozesse und Strukturen zu verändern, braucht es erst einmal ein oder mehrere Ziele. Alleine die Entwicklung der Ziele ist schon ganz schön schwierig, denn am Ende muss etwas herauskommen, was qualitativ höher zu bewerten ist als der jetzige Ist-Zustand. Ich sitze schon länger an diesem Thema, um das irgendwie zu designen. Sinnvoll ist wohl ein iterativer Ansatz, um den EInstieg überhaupt zu schaffen. Aber wir als Berater müssen trotzdem eine Art Rahmen schaffen, in dem man sich dann fortbewegen kann.

        Das in einer Stadt auszuprobieren, wäre natürlich eine tolle Sache. Vielleicht starten wir einfach mal einen Aufruf und schauen, ob sich jemand dafür findet. Wir müssten da aber etwas konkreter werden, damit die Städte wissen, was sie erwarten können und wie groß der Aufwand ist. Und wir sollten uns mit Förderprogramm beschäftigen, denn da liegt im Augenblick viel Geld für solche Projekte. Ich selbst bin bei einem tollen Projekt dabei, das über das Förderprogramm mFUND des BMVI finanziert wird.

        1. Lieber Christian,

          ja eine Methodik etc. ist sehr wichtig. Ich stimme Dir grundsätzlich zu, dass es ein iterativer Ansatz sein sollte. Ich versuche gerade verschiedene Management-Frameworks und Strategie-Ansätze miteinander zu verbinden. Das funktioniert immer besser. Wichtig ist glaube ich auch eine Vision. Das bedeutet wir müssen erklären können, was wir genau wollen und warum und welcher Mehrwert dabei entsteht. Ich denke, es sollte maximal am Rande um die Einführung neuer Technologien gehen. Gegebenenfalls kann man ein Framework entwickeln, welches jede Stadt/Institution/Netzwerk nutzen kann und sollte, bevor man sich für oder gegen Technologien entscheidet. Am besten wäre m.E. ein Kooperationsprojekt zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen, bei dem aus beiden Seiten Ressourcen kommen aber auch in beide Seiten geforscht wird. Dies wäre ein interdisziplinärer Ansatz… Also wenn wir eine klare Vision haben und wissen was wir wollen, sollten wir den Aufruf starten – am besten wir skypen?

  2. Lieber Christoph, danke für die Erwähnung meines Beitrags und danke für Deinen Blogbeitrag, der es eigentlich auf den Punkt bringt. Schon das Cluetrain-Manifest begann mit der Feststellung, dass Märkte Gespräche sind. Das war vor tausenden von Jahren so und das ist heute auch noch so. Nur haben sich die Märkte verändert. Wir müssen uns nicht mehr an einem fixen Ort treffen und haben dementsprechend viel mehr Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Frage ist, wollen wir nicht oder können wir nicht?

    Irgendwo ist es ja auch bezeichnend, dass hier bis jetzt noch niemand kommentiert hat. Nicht unbedingt, um Dir zu applaudieren oder Dich zu kritisieren, sondern um das Thema weiterzuentwickeln. Für mich ist das der eigentliche Sinn und Zweck von Websites oder Blogs. Man bezieht einen Standpunkt, es tauchen andere Standpunkte und Meinungen auf, man redet/schreibt darüber und profitiert voneinander.

    Dein Brief ist ja nur der Ausgangspunkt. Wir müssten uns jetzt überlegen, worüber wir den Dialog führen wollen? Er ist ja nur ein Mittel zum Zweck. Du hast geschrieben, dass sich der Kulturwandel im Digitalen nicht kontrollieren lässt. Ich weiß nicht, was Du genau mit dem „Kulturwandel im Digitalen“ meinst, aber ich glaube, dass Unternehmen zumindest ihren eigenen Kulturwandel gestalten können. Es gibt etliche Stellschrauben, über die das möglich ist. Man muss sie für das eigene Unternehmen bzw. die eigenen Kultureinrichtung identifizieren und sich dann überlegen, wie man dabei vorgehen kann. Das sind die Themen, die uns aktuell beschäftigen sollten, um all die Transformationsprozesse gestalten zu können. Dann hätten wir das Heft in der Hand und wären nicht Getriebene.

    Aber dafür müsste man in die entsprechenden Gespräche einsteigen, um zu erfahren, wie es andere machen und sich gleichzeitig darüber klar zu werden, wohin die Reise für einen selbst gehen soll. Insofern ist Deine Diagnose völlig richtig. Jetzt müssen wir uns eigentlich so eine Art Therapie überlegen, damit all die Kultureinrichtungen wieder in der Lage sind, Dialoge zu führen und sie auch zu nutzen.

    1. Lieber Christian, ja, Du hast recht, wir müssen etwas tun und wir müssen dabei auch selbstkritisch sein. Vielleicht nicht wir aber sehr viele „Berater“ und Agenturen gehen das Thema der Digitalisierung nur aus Sicht der PR etc. an. Ich bin manchmal wirklich erschrocken, wie schlecht diese Arbeit umgesetzt wird. Zudem entstehen dadurch auch die falschen Wahrnehmungen. Wenn z.B. immer wieder von KPIs wie z.B. Wachstum der Fanzahlen geredet wird. Aber: Auch die Institutionen und Unternehmen liegen falsch, denn sie geben dem Thema viel zu wenig Raum und Ressourcen. Sie nehmen das Thema nicht ernst. Denn Arbeiten und Diskutieren im digitalen Raum ist zeit- und ressourcenintensiv. Hier muss massiv ein Umdenken stattfinden – oder wir bauen die Institutionen radikal um und reduzieren sie auf ihre vermeintlichen Kernaufgaben, um dann neue Institutionen zu schaffen, die ohne den Ballast eines öffentlichen Dienstes wie StartUps die Bereiche Kulturvermittlung, Kulturmarketing, Kulturdialog etc. angehen…

      Bleibt die Frage was wir sofort machen können?

      Herzliche Grüße

      Christoph

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