Das Leistungsschutzrecht, unsere Faulheit und die Chancen für Unternehmen und Kulturinstitutionen

Liebe Leser,

ich bin gerade auf dem Weg von Paderborn nach Köln. Am letzten Wochenende habe ich für die Mitarbeiter des „Wissensturms“ in Linz einen Gaming-Workshop und ein Social-Media-Coaching durchgeführt. Es waren drei tolle Tage und ich konnte sogar die „Ars Electronica“ und die Ausstellung „Sinnesrausch“ besuchen. Heute ging es dann weiter mit dem Social-Media-Coaching für die Stadtbibliothek Paderborn.

Wenn man im Zug unterwegs ist hat man endlich wieder ein bisschen Zeit um zu bloggen. Ich habe aktuell mehr als zwanzig unfertige Blogbeiträge und ich würde sehr gerne vielmehr bloggen. Allerdings bin ich bis Ende des Jahres nahezu jeden Tag unterwegs um Institutionen und Unternehmen in die digitale Welt zu begleiten. So möchte ich heute die Zeit nutzen, um ein paar Gedanken zum Thema Leistungsschutzrecht zu formulieren.

Sicherlich haben die meisten von Euch schon vom sog. Leistungsschutzrecht gehört. Es geht dabei um ein neues Recht, welches in Deutschland nun Realität werden soll. Die Idee ist sehr einfach. Es gibt eine Vielzahl an Zeitungsverlagen, die eigene Onlineangebote z.B. Webseiten im Netz anbieten. In den meisten Fällen kann man die Artikel auf diesen Seiten kostenlos lesen. Die Seiten finanzieren sich aus Werbeeinnahmen und zusätzliche Services. Suchmaschienenbetreiber wie z.B. Google haben nun Angebote entwickelt, die quasi wie Werbeplattformen für die Zeitungsverlage dienen. Ein Angebot ist z.B. Google-News. Ich nutze es auf meinem Smartphone als ersten Einstieg in die täglichen Nachrichten. Hierfür öffne ich die App von Google-News und bekomme einen Überblick über die wichtigsten Schlagzeilen bzw. die wichtigsten Themen. Google verweist bzw. verlinkt dabei auf die jeweiligen Seiten z.B. der Zeitungsverlage. Vorab kann ich jedoch in der App eine kleine Vorschau mit ein ein paar Sätzen des jeweiligen Artikels sehen. Wenn ich diese Vorschau interessant finde, kann ich auf die Seite des jeweiligen Verlags gehen und den Artikel dann komplett lesen. Dieser Service ist für mich ziemlich genial. Ich würde nie auf die Idee kommen, direkt mit den Seiten der Zeitungsverlage zu arbeiten. Google-News verschafft mir einen sehr guten Überblick. Ohne Google-News würde ich die Seiten von Focus-Online oder Welt-Online sicherlich niemals besuchen. Der Service ist sowohl für mich als Nutzer wie auch für die Zeitungsverlage kostenlos. Der Dienst finanziert sich durch Werbung.

Nun könnte man erwarten, dass sich die Zeitungsverlage freuen, dass Google und viele andere Anbieter derartige Services anbieten. Wir haben durch das Internet Zugang zu Milliarden von Informationen und die Zeitungsverlage könnten hier sehr schnell übersehen werden. Es gibt zudem durch Blogs, Twitter und Co. ernstzunehmende Konkurrenz für die klassischen Nachrichten-Anbieter. Die Zeitungsverlage sehen das aber komplett anders. Sie stehen auf dem Standpunkt, dass Google und andere Anbieter für die Arbeit mit den Artikeln (Vernetzen, Verlinken und eine kleine Vorschau anbieten) zahlen soll. Schließlich generiere Google hier riesige Einnahmen durch Werbeeinblendungen. Die Artikel seien aber von den Zeitungen erstellt worden und nicht von Google. Ich möchte jetzt nicht alle Argumente und Diskussionen zu diesem Thema beschreiben. Dies ist an vielen Stellen im Netz bereits geschehen. Ich möchte vielmehr auf ein paar wenige Punkte eingehen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie wir mit der Situation am besten umgehen können.

Zeitungsverlage verdienen Ihr Geld sehr oft mit Werbeeinnahmen. Ohne die verschiedenen Werbeanzeigen könnten die meisten Zeitungen nicht existieren. Die Zeitungen sind also direkte Konkurrenten zu Google und Co., denn gerade im Netz werden Angebote zumeist durch Werbeeinnahmen finanziert. Ich bin kein großer Fan von Werbung aber wenn Werbung der Weg ist, um Angebote wie die von Google zu finanzieren warum nicht? Google und viele weitere Unternehmen ermöglichen uns die Nutzung des Internets. Keine öffentliche Institution war und ist in der Lage derartige Angebote zu entwickeln. Aber es sind diese Angebote, ohne die das Internet keine Erfolgsgeschichte wäre. Und ohne diese Angebote wäre es auch für die Zeitungsverlage noch schwerer im Netz Geld zu verdienen. Sie waren und sind – ebenso wie die schon benannten öffentlichen Institutionen – nicht in der Lage vergleichbare Angebote für das Social-Web zu entwickeln. Weder ihre Ausrichtung noch ihre Kultur scheinen mit der des Social Web kompatibel. Für ihre m.E. teilweise nur mittelmäßigen Angebote brauchen sie einen Partner, der die Menschen dazu bringt, ihre jeweiligen Seiten besuchen. So wie sie als Werbeplattform für Unternehmen dienen wollen, brauchen sie selber Werbung. Natürlich würde keine Zeitung auf die Idee kommen für das Recht zu zahlen, Werbung für ein Unternehmen machen zu dürfen. Gleichzeitig möchten sie, dass Google genau das tut.

Natürlich (und hoffentlich) wird Google nicht zahlen. Würde es darum gehen, dass die gesamten Inhalte durch Google kopiert und ins Netz gestellt werden, könnte ich die Kritik bzw. den Wunsch nach Entlohnung ja verstehen, aber dann wäre es m.E. eine Frage des Urheberrechts. Wenn aber nun Google nicht zahlen will, heißt das u.U., dass Google die Angebote der Zeitungsverlage aus dem Index nehmen wird, d.h. die Angebote werden nicht mehr gefunden. Wie das dann aussieht konnte man 2011 in Belgien beobachten. Wie gesagt, Google sorgt für einen Großteil des Traffics auf den Angeboten der Zeitungsverlage.

Was aber bedeutet das nun für den Nutzer bzw. die Kulturinstitutionen? Zum Einen müssen wir anerkennen, dass wir es bis jetzt sehr leicht hatten. Google sorgte dafür, dass wir die einzelnen Angebote der Zeitungsverlage finden konnten. Ich selber gehe nie zuerst auf das Angebot eines Verlages wie z.B. tagesspiegel.de. Ich nutze Google als Startpunkt. Wenn aber die vorhandenen Seiten nicht mehr erscheinen, muss ich mir neue Quellen suchen bzw. Google könnte andere Quellen aufnehmen. Vielleicht erleben wir somit eine Renaissance der Blogs? Vielleicht werde ich auch endlich damit beginnen, über RSS-Reader internationale Angebote (sowohl Blogs oder ähnliches als auch ausländische Zeitungen) zu lesen. Wer braucht noch Focus-Online oder Morgenpost.de wenn er auf die verschiedenen Quellen im globalen Netz zugreifen kann? Wenn wir ein bisschen auf unsere Bequemlichkeit verzichten, können wir viel spannendere Angebote finden. So könnte das Leistungsschutzrecht dazu führen, dass wir endlich beginnen über unseren Online-Quellen-Tellerrand hinaus zu blicken.

Auch für die Unternehmen, die u.a. auf den Plattformen der Verlage werben, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten. Klassische Werbung ist schon heute immer seltener erfolgreich. Die digitale Welt braucht keine Werbung sondern Kommunikation. Warum auf Plattformen werben, die von sich behaupten, dass sie den Kontakt zum Kunden herstellen können, wenn ich dies durch die Nutzung von Social-Media doch selbst bzw. direkt erledigen kann? Wie wenig Zeitungsverlage an ihre Werbekunden denken zeigt die Tatsache, dass sie mit Google genau die Plattform angreifen, die für den Großteil des Traffics auf ihren Seiten sorgt. Als Unternehmen macht es keinen Sinn, weiterhin die Abhängigkeit von Plattformen zuzulassen, die durch ihr eigenes Verhalten an Bedeutung verlieren werden. Sicher, es gibt die lokalen Märkte und es gibt Zielgruppen, die auf den diversen Social-Media-Plattformen nicht unterwegs sind. Aber die Zahl derer, die komplett analog leben sinkt stetig. Es geht deshalb auch nicht darum, komplett auf die Werbung auf diesen klassischen Medien zu verzichten. Es sollte aber bedacht werden, dass es in der Zukunft immer weniger um Werbung und immer mehr um Social-Media als Modell für neue Anbieter-Kunden-Beziehungen geht. Als Unternehmen sollte man also weniger die Werbeprospekte der PR-Agenturen und mehr Bücher wie „the Cluetrain Manifesto“ lesen. Überlegen Sie als Unternehmen lieber zweimal bevor Sie weiter auf die Angebote von Zeitungsverlagen setzen.

Auch für Kulturinstitutionen könnten sich völlig neue Chancen und Möglichkeiten ergeben. Dadurch, das die Angebote der Zeitungsverlage unbedeutender werden, sinkt auch die Bedeutung des Feuilleton. Er hat seine Deutungshoheit ohnehin schon eingebüßt. In Zukunft ist er nicht mehr als die Meinung eines kulturintessierten Redakteurs. Kulturinstitutionen können bzw. sollten nun in der Breite damit beginnen, die digitale Welt zu gestalten. Die vielen guten Beispiele von erfolgreichen Institutionen zeigen ganz deutlich, welch großes Potential im Bereich Social-Media steckt. Dabei ist es nur wichtig, das Social-Web nicht als Plattform für die Öffentlichkeitsarbeit zu sehen. Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit ist nicht die stärkste sondern die schwächste Funktion von Social-Media. Es wird vielmehr darum gehen, die digitale Welt als natürliche und menschliche Erweiterung einer Kulturinstitution zu sehen.

Wenn ich über das Leistungsschutzrecht nachdenke, habe ich keine Angst vor den möglichen Konsequenzen. Im Gegenteil, es könnte sein, dass wir damit den letzten Grund gefunden haben, nicht mehr auf klassische Medien zu setzen sondern unsere eigene Medienwelt aktiv zu gestalten.

Beste Grüße

Christoph Deeg

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