Digitale Demenz und digitale Kultur

Liebe Leser,

sind wir in der Gefahr an digitaler Demenz zu erkranken? Macht die digitale Welt  dumm und süchtig? Sollten wir zurück in die vordigitale Ära wandern?

Es ist uns ein Buch erschienen. Lesen soll ja bekanntlich bilden. Manfred Spitzer ist der Autor des Buches “Digitale Demenz “und er ist der festen Überzeugung, dass die digitale Welt unser Untergang ist.

Nun gibt es viele Menschen die Angst vor der digitalen Welt haben. Für sie ist die digitale Welt gefährlich, unberechenbar und unmenschlich. Ihnen spricht Manfred Spitzer sicherlich aus der Seele.

Ich könnte jetzt seitenweise darüber schreiben, warum Herr Spitzer keine Ahnung von der digitalen Welt hat und warum es gut ist, sich die digitale Welt zu erschließen. Aber ich möchte einen anderen Autor zu Wort kommen lassen:

Allen Interessierten möchte ich das Buch “Neue Intelligenz – warum Computerspiele und TV uns klüger machen“ von Steven Johnson empfehlen.

Zudem habe ich heute noch ein Interview zum Thema gegeben, bei dem ich u.a. erkläre warum Manfred Spitzer falsch liegt und warum wir digitale Medien noch mehr in Schulen, Bibliotheken, etc. nutzen sollten.

Ich bin auf Eure Gedanken zum Thema gespannt…

Euer

Christoph Deeg

2 thoughts on “Digitale Demenz und digitale Kultur

  1. Sehr geehrter Herr Deeg,

    danke für Ihren Buchtipp! Steven Johnson gelingt es, selbst mir, der ich so gut wie keine eigenen Erfahrungen mit Computerspielen habe, einen über weite Strecken lebendigen und nachvollziehbaren Einblick in die Erlebniswelt eines Gamers zu geben. Und doch hinterlässt sein Buch bei mir ein gewisses Gefühl des Unbehagens. Einige kritische Anmerkungen möchte ich gerne loswerden.

    (1) Wenn Johnson den hypnotischen Sog des Gamings neurowissenschaftlich zu erklären sucht, unterscheidet er sich zunächst nicht grundlegend von Spitzer. Für beide Autoren liegt das Geheimnis, kurz gesagt, in einem im Gehirn wirksamen Belohnungssystem, welches über den Neurotransmitter Dopamin gesteuert wird und auch für die Entstehung von Sucht verantwortlich ist (Johnson, S. 46-52; Spitzer, S. 267-268). Johnson selbst zieht diverse Parallelen zwischen Computerspielen und Süchten (z.B. „Games [sind] das digitale Gegenstück zu Crack“, S. 52), drückt sich jedoch zu meinem Erstaunen vor einer Antwort auf die naheliegende Frage, ob dann nicht vom Spielen selbst eine Suchtgefahr ausgeht!

    (2) Johnson kann kaum als Gewährsmann für Ihre in diesem Blog des öfteren geäußerte Ansicht herangezogen werden, Computerspiele besäßen die gleiche kulturelle Wertigkeit wie etwa Theaterstücke oder Opern. Ganz im Gegenteil ist er ehrlich genug einzugestehen, dass die Inhalte von Computerspielen weitgehend „trivial“ seien (z. B. S. 53). Folglich argumentiert er, wie er es selbst ausdrückt, “eher systemisch als symbolisch“ (S. 23): Computerspiele sind für Johnson also nicht Ihrer narrativen Inhalte wegen empfehlenswert, sondern weil Sie gleichsam als hochkomplexe Denksportaufgaben die kognitiven Fähigkeiten des Spielers trainieren. Bietet die Komplexität eines Games, möchte ich fragen, derart nicht bloß „leere Kalorien“ fürs Hirn? Überhaupt verdiente m.E. die heute überall anzutreffende leichtfertige Vergötzung von „Komplexität“ einmal grundsätzlich in Frage gestellt zu werden. Nichts gegen Denksport, aber einen tieferen und grundlegenderen Einblick in abstrakte Strukturen verschafft vielleicht doch die Beschäftigung mit – Mathematik.

    (3) Doch die Schule ist ja eine Institution, für die Johnson grundsätzlich nur Spott übrig zu haben scheint. Die gleichen Kinder, die angeblich digital vermittelte Lerninhalte begierig und spielerisch in sich aufsaugen (der Nürnberger Trichter lässt grüßen), sieht Johnson bei vergleichbar anspruchsvollen schulischen Herausforderungen in Tränen ausbrechen (S.20) oder gar „laut schreiend die Flucht ergreifen“ (S. 45). Diese denunziatorische Herablassung gegenüber Schule ist heute leider verbreitet unter fortschrittsgläubigen Digitalisten, die uns weismachen möchten, im E-Learning läge das Heil für überforderte oder unkompetente Lehrer.

    (4) Einen aus pädagogischer Sicht problematischen Aspekt von Computerspielen übersieht Johnson völlig – und das obwohl er in der Einleitung seines Buch selbst ein wundbares Gegenbeispiel aus der analogen Welt beschreibt. Mit fast zärtlicher Nostalgie erinnert er sich an ein Baseball-Simulationsspiel, das er als Kind einst mit Begeisterung spielte: Eine Art analoger Vorläufer heutiger Computergames, beruhte es auf einem Konvolut aus Blättern mit endlosen Tabellen und komplizierten Regeln. Irgendwann aber war dem zehnjährigen Steven das Spiel nicht mehr realistisch genug, er erkannte dessen Fehler und Schwächen und begann seine eigene Simulation zu entwerfen.
    In der digitalen Welt ist dagegen die Kluft zwischen Rezeption und Selbermachen für die meisten Kinder unüberbrückbar, worüber auch die schönste Interaktivität nicht hinwegzutäuschen vermag. Kann prinzipiell jeder junge Bücherwurm sich ein leeres Schulheft zur Hand nehmen, um sich selbst als Autor zu versuchen, muss ein Computerspiel für die überwiegende Zahl der Kinder zwangsläufig eine Blackbox bleiben. Die Verfechter des E-Learnings werden zwar nicht müde, digitale Medien für die Vermittlung von Lerninhalten in den höchsten Tönen anzupreisen, doch sind es erstaunlicherweise eher die skeptischen, leiseren Stimmen, die sich dafür einsetzen, Kinder an das Programmieren heranzuführen, um ihnen so einen Blick auf die „Rückseite der neuen Medien“ zu ermöglichen (Gaschke, Susanne: Die verkaufte Kindheit. München, 2011, S. 147; sehr empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang auch: Bleckmann, Paula: Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen. Stuttgart, 2012). So bin ich zu guter Letzt auch noch zwei Buchtipps losgeworden :-)

    Mit freundlichen Grüßen
    Martin O‘Connor

    1. Sehr geehrter Herr O’Connor,

      haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre kritischen Anmerkungen. Ich freue mich sehr, dass Sie sich mit dem Buch beschäftigt haben. Zuerst möchte ich anmerken, dass es mir fern liegt, das Buch von Steven Johnson als die Wahrheit zu definieren. Ich glaube vielmehr es ist ein guter Gegenpol. Sie haben Recht, wenn Sie schreiben, dass sich Johnson nicht ausgiebig mit Suchtgefahren beschäftigt und er zudem auf ähnliche neurologische Prozesse wie Manfred Spitzer verweist. Für mich ist das Thema Sucht wichtig – es ist aber m.E. in diesem Kontext nicht relevant. Johnson spricht nie davon, dass es keine Gefahren gäbe. Ich habe mich in letzter Zeit mit vielen Experten zu diesem Thema ausgetauscht. Im Ergebnis hieß es zumeist, dass es eine Suchtgefahr gäbe, aber auf der anderen Seite diese Spielsucht zum Einen zu wenig erforscht werden würde und zum Anderen immer im Kontext des Umfeldes des Spielers gesehen werden sollte. Alle mir bekannten Experten raten zur einer offenen Nutzung von Computerspielen bei gleichzeitiger Vermittlung von Medien-Kompetenz etc.

      Ich habe nicht gesagt, dass Johnson beweisen würde, dass Computerspiele die gleiche Wertigkeit wie andere kulturelle Inhalte hätten. Dies ist meine persönliche Behauptung bzw. ein Ergebnis aus der Lektüre einer Vielzahl an Büchern, Aufsätzen und Blogbeiträgen zu diesem Thema. Gleichwohl können wir m.E. nicht umhin zu akzeptieren, dass Gaming zur (kulturellen) Lebensrealität von Millionen von Menschen gehört.

      Was die Schule angeht, so bitte ich um Nachsicht. Ja, ich bin einer der fortschrittgläubigen Digitalisten und nein, ich bin nicht der Meinung dass Lehrer blöd sind oder nur noch E-Medien nutzen sollten, damit alles besser wird. Ich kenne sehr viele Lehrer – ich arbeite auch mit Lehrern – die sehr gerne mit diesen neuen Möglichkeiten arbeiten würden. Sehr oft lassen dies aber die Strukturen und Ressourcen nicht zu. Zudem geht es nicht um die Nutzung digitaler Medien alleine. Es geht vielmehr um die Adaption von Spielmodellen in den Unterichtsalltag. Als Beispiel eignet sich hier sicherlich die Schule „Quest to learn“ Technologie ist nur ein Werkzeug – es geht vielmehr um die damit verbundene Kultur bzw. die Dinge, die wir damit machen – oder nicht.

      Den letzten Punkt von Ihnen kann ich nicht nachvollziehen. Es geht zum Einen nicht darum, dass man nur noch Computerspiele spielt. Im Gegenteil. Es geht um eine gesunder Mischung aus Aktivitäten in der analogen und digitalen Welt. Zudem bieten Spiele eine Vielzahl an Plattformen zur Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung.

      Beste Grüße und nochmals Danke für Ihren Kommentar

      Christoph Deeg

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