In den letzten Jahren habe ich mich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte und Perspektiven zum Thema Digitalisierung bzw. digitale Transformation befasst. Eine besonders spannende Fragestellung ist die der digital-analogen Lebensräume. Für mich gab es nie einen Konflikt zwischen digitalen und analogen Funktionen und Prozessen. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen dem, was wir analog tun und dem, was wir digital tun. Aber letztlich entwickeln wir alle digital-analoge Lebensrealitäten.
Ich habe diesen Ansatz vor einigen Jahren weiterentwickelt, und versucht, die Idee der digital-analogen Lebensrealitäten genauer zu definieren. Für mich bedeutet digitale-analoge Lebensrealität, dass jeder Mensch individuell und situativ über den Anteil des Digitalen und des Analogen in seinem/ihrem Leben entscheidet und welche Funktionen damit umgesetzt werden. Diese Entscheidungen sind nicht endlich, sondern sie werden immer wieder neu getroffen und können somit auch revidiert werden.
Wenn man diesen Gedanken weiter denkt, muss man irgendwann die Frage stellen, was dies für den physischen Raum bedeutet? Die Wechselwirkungen zwischen digitalem und analogen Raum sind für mich eine der spannendsten Fragestellungen in meiner Arbeit. In früheren Jahren habe ich diese Fragestellung immer aus der Sicht digitaler Angebote betrachtet. Das bedeutet, ich habe mir überlegt, wie wir den digitalen Raum so gestalten können, dass er quasi eine Verbindung zwischen digital und analog ermöglicht. Erst später kam die Frage hinzu, wie wir analoge Räume gestalten müssen, damit sie kompatibel zu digital-analogen Lebensrealitäten sind.
Aus einer eher theoretischen Diskussion wurden dann konkrete Projekte und ich möchte eine kleine Serie von Beiträgen beginnen, bei der ich über diese Fragestellungen anhand eines konkreten Projektes spreche. Es handelt sich um das „Haus des Wissens“ in Bochum. Das Haus des Wissens ist eines der spannendsten Kultur- und Bildungsprojekte der Gegenwart. In diesem Haus sollen u.a. die Volkshochschule, die Stadtbibliothek, die Univercity und eine große Markthalle untergebracht werden. Schon die Zusammenstellung dieser vier Institutionen/Funktionen bedeutet eine große Herausforderung, da sie nicht gegeneinander/ parallel zu einander, sondern wie ein großer Organismus funktionieren sollen. Dies ist aber nicht der Grund, warum das Projekt für mich besonders spannend ist. Zusätzlich zu der Nutzer-Struktur des Hauses soll das Thema Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen. Damit ist aber nicht gemeint, dass einfach nur möglichst viele digitale Technologien genutzt werden sollen. Vielmehr soll ein Ort entstehen, der im besten Sinne ein eigener digital-analoger Lebensraum ist. Es geht also um die Frage, wie wir Räume gestalten können, die in stetiger Wechselwirkung zum digitalen Raum stehen.
Natürlich bedeutet dies auch den Einsatz digitaler Technologien. In solchen Projekten ist aber die Frage der Kultur und damit verbunden der unterschiedlichen Funktionen des Hauses viel spannender. Technologien ermöglichen Funktionen und Funktionen bedürfen bestimmter Denk- und Handlungsweisen, die entweder vorhandene Ansätze ersetzen oder erweitern. Meine Aufgabe in solchen Projekten ist – vereinfacht ausgedrückt – die Entwicklung von Konzeptionen, Visionen und Strategien zusammen mit den jeweiligen Nutzern (Institutionen, Organisationen, Unternehmen). Es ist letztlich eine Kombination aus Übersetzung dessen was gedanklich möglich ist und der Beratung und Begleitung bei einer daraus resultierenden Entwicklung einer digital-analogen Gesamtstrategie.
Die Grundidee ist, zuerst den digital-analogen Optionsraum, der sich für das jeweilige Gebäude/den jeweiligen Ort ergibt, zu verstehen um ihn dann weiterzuentwickeln und ihn zu realisieren. Anders ausgedrückt: wenn wir das Digitale als Element des Analogen betrachten, entstehen eine Vielzahl an neuen Funktionen. In der Umsetzung bedeutet dies nicht nur, dass wir für eine umfassende digitale Infrastruktur sorgen müssen. Es bedeutet auch, dass wir uns überlegen müssen, welche Auswirkungen die Nutzung digitaler Plattformen auf die analoge Wahrnehmung eines Raumes haben.
Was bedeutet das konkret? In einem ersten Schritt geht es darum, herauszufinden, welche Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte entstehen, wenn man unterschiedliche von digitale Technologien und Funktionen in einen analogen Raum nutzt. Wenn wir versuchen, den digitalen und analogen Raum miteinander zu verbinden, entsteht ein neuer Raum, der mehr sein sollte als die Summer der vorab vorhandenen Funktionen.
Digitale Technologien sollen die Funktion, die Ästhetik und die Wahrnehmung eines Ortes verändern und sinnvoll erweitern. Man merkt dies vor allen Dingen dann, wenn man in Räumen mit besonders vielen digitalen Technologien eben diese Technologien temporär abschaltet. In vielen Fällen stellt man dann fest, dass die gesamte Raumstruktur inklusive der Inneneinrichtung darauf ausgerichtet war oder ist, mit den digitalen Technologien zu arbeiten. Auch die Wahrnehmung von Inhalten spielt eine Rolle. In heutigen Lern- und Arbeitsräumen bringen die Menschen in der Regel eine Vielzahl an eigenen Geräten mit. Eine Projektion eines Inhalts auf einem großen Display ist etwas völlig anderes als die Darstellung des gleichen Inhalts auf einem Smartphone. Wenn wir nun eine Situation haben, bei der Inhalte auf großen Projektionsflächen wiedergegeben und bearbeitet, und im Anschluss daran auf dem Smartphone angesehen werden, bekommen wir gegebenenfalls komplett neue Wahrnehmungen und Inhalte. Ein anderes Beispiel: wie definieren wir das Thema Interaktionen in digital-analogen Räumen? Technisch gesehen ist dies verhältnismäßig einfach möglich. Man bräuchte zum Beispiel Projektionsflächen die mit unterschiedlichen Sensoren gekoppelt sind. So wäre es möglich, digitale Inhalte interaktiv zu vermitteln, da man auf sie beispielsweise durch die Bewegung des eigenen Körpers zugreifen beziehungsweise sie verändern kann. Was aber passiert, wenn wir nicht mit Inhalten sondern mit Menschen kommunizieren? Welche Interaktionsformen sind dann möglich? Und was passiert, wenn diese Menschen mit unterschiedlichen Gruppen im selben Raum arbeiten sollen oder wollen? Digitale Technologien zu nutzen bedeutet in diesem Kontext nicht, einen passiven Zugang zu Inhalten zu ermöglichen.
Im Ergebnis entsteht ein Modell jeder Fläche eines Gebäudes, welches einen hybriden multioptionalen Raum ndefiniert. Multioptional bedeutet in diesem Kontext, dass alle Flächen und Ressourcen immer eine Vielzahl Funktionen haben sollen, was nebenbei bemerkt auch nachhaltiger ist. Dies sind nur ein paar kleine Beispiele für die Fragestellungen, mit denen ich mich in solchen Prozessen beschäftige. Der spannendste Moment ist immer dann, wenn ich mit den Architekten, Innenarchitekten, Planern, Nutzern und weiteren Gruppen zusammensetze und wir versuchen, aus den unterschiedlichsten Perspektiven eine gemeinsame Übersetzung zu schaffen.
Im nächsten Beitrag werde ich auf die Frage eingehen, wie man sich dem Thema „kontinuierliche Transformation“ im Kontext digital-analoge Lebensräume annähern kann. Im dritten Beitrag werde ich dann verschiedene Modelle vorstellen, die helfen können, Räume und ihre Funktionen besser zu verstehen. Im vierten Beitrag werde ich dann auf mögliche Risiken und Fallstricke eingehen. Was mir abschließend bei diesem ersten Beitrag noch wichtig ist ist: es gibt kein Standardmodell für die Entwicklung digitale-analoger Lebensräume. Ein solcher Entwicklungsprozess ist komplex und beinhaltet immer unterschiedliche Ebenen. Zudem ist es immer wieder so, dass entwickelte Ideen und Konzepte verworfen oder neu gedacht werden müssen. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn Zentrale Enabler für die Gestaltung des Raumes, zum Beispiel offenes und freies Internet mit hoher Bandbreite und Geschwindigkeit doch nicht vorhanden sind. Zudem reicht es nicht aus, die eigentlichen Räume zu gestalten bzw. technologisch auszurüsten. Alle in diesen Räumen stattfindenden Prozesse und Aktivitäten müssen überdacht und weiterentwickelt werden.
Wenn wir das Thema Digitalisierung im Kontext von Bildung und Kultur denken, dann kann und darf es nicht darum gehen, einfach nur möglichst viele Technologien zu nutzen. In vielen Fällen ist es so, dass die jeweiligen Institutionen oder Organisation den Optionsraum selbst dessen, was vorhanden ist nicht verstanden haben oder aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht nutzen dürfen. Zudem ist es so, dass digitale Technologien extremen Innovationszyklen unterworfen sind. Es macht also wenig Sinn zu versuchen, immer die neuesten Technologien nutzen zu können. Viel relevanter sind die damit verbundenen Funktionen sowie die daraus resultierenden Denk- und Handlungsweisen. Wenn man diese Punkte akzeptiert, kann man erahnen, dass die Gestaltung digital-analoger Lebensräume bedeutet, mehrdimensionale Digitalisierungsstrategien zu entwickeln, die nicht die Technologie sondern die Menschen in den Fokus setzen, die aber auch Themen wie Nachhaltigkeit und Innovation neu definieren. Wenn solche Prozesse funktionieren, entstehen einzigartige Orte die nicht nur an sich einen neuen Optionsraum definieren, sondern den Optionsraum einer ganzen Stadt oder Region massiv erweitern können.
Herzliche Grüße Christoph Deeg