Die Wirkung kam nicht plötzlich, sondern schleichend. Zu Beginn der Corona-Krise war alles noch ein großes Abenteuer. Alles war neu und spannend. Jeder hat seine Art und Weise mit solchen Herausforderungen umzugehen. Und irgendwie schien ist so, als würde sich die Welt gar nicht so groß verändern.
Natürlich gab es große Unterschiede. Es reichte, dass man in die Nürnberger Altstadt ging und man merkte, da hat sich etwas verändert. Keine Menschenseele weit und breit. Meiner kleinen Tochter und mir gehörte die die gesamte Altstadt. Aber es war nicht etwa ein Sonntagnachmittag, an dem die Stadt sowieso wie ausgestorben erscheint. Es war mitten in der Woche und mitten am Tag.
Das besondere war, es gab keine Zerstörungen. Die Stadt war einfach leer. Es gab kein Leben in der Stadt. Nun sind die meisten Innenstädte an sich nicht gerade lebendige Orte. In den letzten 30 Jahren wurden Innenstädte nach dem Motto entwickelt, Hauptsache die Autos und der Einzelhandel haben Spaß damit. Und erst langsam versteht man, dass Städte für Menschen gemacht sein sollten.
Ja dies alles war anders. Aber mein tägliches Leben sah nicht anders aus. Wobei, eigentlich stimmt das nicht. Natürlich war mein tägliches Leben anders geworden. Ich war nicht mehr am Reisen. Ich lebte nicht mehr auf Bahnhöfen und Flughäfen und Hotels. Das war aber auch das, was ich sowieso erreichen wollte. Ich wollte die Art und Weise wie ich arbeite und lebe, ändern. Mein Ziel war, sehr viel Zeit zu Hause „zu haben“. Ich meinte damit nicht Freizeit, aber ich wollte mehr von zu Hause arbeiten und andere Formate der Beratung finden. Die Corona Krise sorgte dafür, dass mir genau das ermöglicht wurde.
Mir fehlte nichts. Im Gegenteil. Mein Leben war reicher denn zuvor. Aber der wirtschaftliche Schock saß tief. Und so saßen wir zusammen und überlegten uns, wie wir finanziell überleben könnten. Und als wir herausfanden, das es möglich ist, war ich irgendwie beruhigt. Diese Ruhe entsprang nicht etwa der Erkenntnis, dass ich nicht pleite sein würde. Sie beruhte vielmehr darauf, dass ich ja für die Situation überhaupt nicht konnte.
Es dauerte ein paar Wochen und auf einmal begann sich die Krise – wirtschaftlich – zum Guten zu wenden. Von überall her bekam ich Aufträge und Anfragen. Die Krise sorgte für einen neuen Innovationsdruck. Plötzlich war Digitalisierung das Thema welches alle (mal wieder) interessierte. Es vergeht bis heute kaum ein Tag, an dem ich nicht irgendwelche Anfragen bekomme. Und so merkte ich nicht, dass die Veränderung schleichend vonstatten ging.
Ich schuf mir neue Routinen, neue Rituale und einen neuen Tagesablauf. Das Problem war nie meine Fähigkeit, auf die neue Situation zu reagieren. Aber ich hatte in dieser Situation den damit verbundenen Energieaufwand unterschätzt. Genauer hatte ich ihn gar nicht wahrgenommen. Und irgendwann merkte ich, dass ich letztlich nur versuchte, mein normales Leben aufrechtzuerhalten, anstatt die aktuelle Situation dafür zu nutzen, mich weiterzuentwickeln.
Mit dieser Erkenntnis änderte sich alles. Es begann der eigentliche Transformationsprozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Ich stehe erst am Anfang. Ich hinterfrage vieles, was ich im Bereich Digitalisierung sehe und lebe. Ich verbringe viel mehr Zeit mit Lesen und dem Austausch mit Kollegen. Ich verzichte auf das eine oder andere Projekt, den ein oder anderen Auftrag und kümmere mich dafür um neue Ansätze in meiner Arbeit. Dies ist der größte Gewinn für mich. Und es dauerte bzw. es brauchte viele Wochen, dass ich verstand, dass die Aufgabe nicht darin besteht, die Zeit vor Corona in irgendeiner Form in eine Post-Corona-Phase zu adaptieren. Wenn alles anders ist, dann sollte ich auch versuchen alles anders zu machen. So ein Prozess ist nicht einfach, denn ich kann mich nicht aus meinen Projekten zurückziehen, und das will ich auch gar nicht – im Moment macht es so viel Spaß wie nie zuvor. Aber ich nehme mir die Zeit, viel intensiver zu reflektieren und nachzudenken. Und mir ist wieder einmal bestätigt worden, dass Transformation nicht funktionieren kann, wenn wir nicht die Zeit für Reflektion und eigene Entwicklung bekommen.
Christoph Deeg