Liebe Leser,
heute möchte ich über einen anderen Aspekt der digitalen Transformation reden. Ich erlebe immer wieder, dass im Kontext der digitalen Transformation ein gewisser Jugendwahn zu beobachten ist. Zum einen werden digitale Aktivitäten sehr oft primär für die junge Generation geplant und umgesetzt. Zum anderen wird sehr oft jungen Menschen die Aufgabe überlassen, digitale Angebote beziehungsweise die damit verbundenen Veränderungsprozesse In Organisationen umzusetzen.
In diesem Zusammenhang reden wir sehr oft von den sogenannten Digital Natives. Damit ist gemeint, dass es Menschen gibt, die mit den vorhandenen digitalen Medien aufgewachsen sind. Für sie ist es völlig normal, ein Smartphone zu nutzen. Und sie können nicht verstehen, wie z.B. die analoge Kommunikationswelt aussah. Hier wird ein Automatismus definiert, der so nicht vorhanden ist. Es stimmt zwar, dass die jüngere Generation mit digitalen Medien aufwächst. Für sie ist es etwas völlig normales, sich in digitalen Welten zu bewegen. Sie haben von frühester Kindheit an eine digital-analoge Lebensrealität entwickelt. Allerdings tun sie dies in einem prä-digitalen Umfeld. Schule und Gesellschaft befinden sich immer noch Im analogen Mittelalter. Viele der Eltern sind nicht in der Lage vernünftig mit digitalen Medien umzugehen. Entweder Sie verbieten diese Medien und verteufeln sie oder aber sie lassen schon Kleinkinder stundenlang vor dem iPad sitzen. Zudem ist es so, dass die Infrastruktur sowie die Denk- und Arbeitsweisen, die sich aus der Digitalisierung unserer Gesellschaft ergeben, gerade in Deutschland noch viel zu wenig vorhanden sind.
Diese Generation erlebt also eine Welt, die es sehr schwer macht, eine eigene digitale Identität zu entwickeln. Ganz zu schweigen von einem Umfeld, das es ihnen ermöglichen müsste, in diesem Zusammenhang Fehler zu machen, Neues auszuprobieren, sich einfach als Mensch weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist es so, dass diese Generation fälschlicherweise als relevanteste im Kontext der Digitalisierung angesehen wird. Sie sind quasi die neuen Heilsbringer, so wie der Ingenieur, der doch jede Krise der Bundesrepublik lösen würde.
Aber es ist die Generation derer die in den 70er Jahren geboren wurden, die einen komplexen Transformationsprozess erlebt haben, und in bis heute erleben. Wir sind mit digitalen Technologien aufgewachsen. Wir haben die ersten Computerspiele gespielt. Wir haben erlebt, wie sich eine zunehmend eine Art digitaler Welt entwickelt. Wir kennen beide Seiten der Medaille. Wichtig ist nicht zu wissen, wie Apps. oder Smartphones funktionieren. Wichtig ist es in der Lage zu sein, den damit verbundenen Transformationsprozess zu verstehen und aktiv zu gestalten. Nur dann haben wir eine Möglichkeit, den Impact auf unsere Gesellschaft zu steuern. Denn auch die jüngere Generation wird erleben, dass in kurzer Zeit neue Technologien aufkommen, die sie so noch nie gesehen hat und die ihr Leben verändern. Die immer kürzeren Innovationszyklen sorgen dafür, dass auch diese Generation sich komplett neu erfinden muss.
Der Begriff der Digital Natives vergisst also, dass der Prozess der Digitalisierung nicht abgeschlossen ist. Was bedeutet das? Wir müssen versuchen zu verstehen, dass es überhaupt keinen Sinn macht, zwischen Digital Natives und Digital Immigrants zu unterscheiden. Jeder Mensch ist in bestimmten Bereichen irgendwann ein Digital Immigrant. Viel wichtiger ist die Frage, welche Denk- und Arbeitsweisen sich aus der Digitalisierung ergeben. Und es ist wichtig, dass wir generationenübergreifende Teams haben. Beide Seiten müssen lernen, was Digitalisierung bedeutet. Beide Seiten müssen voneinander lernen, wie man Digitalisierung sinnvoll umsetzen kann.
Das macht die ganze Situation natürlich komplexer. Es ist natürlich viel einfacher, irgendwelche mehr oder weniger sinnvollen Zielgruppendefinitionen zu nutzen. Aber letztlich gesehen müssen wir Wege finden, wie wir mit der Komplexität des Themas Digitalisierung umgehen können. Der „Kulturraum Digitalien“ wächst. Und wir müssen uns überlegen, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um diesen Prozess zu unterstützen. Es ist ebenso wichtig, dass wir sehr schnell verstehen, dass in diesem Kontext kein Konkurrenzkampf zwischen den Generationen stattfindet. Für alle, unabhängig vom Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund usw. ist das Thema der Digitalisierung eine riesengroße Herausforderung. Was wir sehen können ist, dass unsere Gesellschaft immer mehr digitales Analphabetentum schafft. Das wäre die eigentliche Aufgabe mit der wir uns beschäftigen sollten. Aber ich hier passiert trotz aller Bemühungen immer noch viel zu wenig. Vielleicht müssen wirnochmal über die Prozesse nachdenken, die wir bis jetzt im Kontext der Digitalisierung umgesetzt haben. Vielleicht müssen wir uns überlegen, ob wir noch mehr über neue Strukturen nachdenken müssen. Und wir müssen uns auch Fragen, wo wir in den letzten Jahren falsch lagen. Denn vieles was im Kontext der Digitalisierung versprochen wurde, ist bis jetzt nicht eingetreten. Die schöne neue Welt Digitalien ist bis jetzt nicht Realität geworden.
Beste Grüße
Christoph Deeg