Liebe Leser,
vor ein paar Tagen hatte ich ein sehr spannendes Treffen mit einem Direktor einer sehr interessanten Kulturinstitution. Es ging um eine mögliche Zusammenarbeit im Kontext der digitalen Transformation des Hauses, und wir haben uns über die verschiedenen Facetten der digitalen Gesellschaft ausgetauscht. Unabhängig von der Frage, ob ich diesen Auftrag umsetzen darf, und ich würde das sehr gerne tun, fand ich das Gespräch sehr beeindruckend.
In meiner Arbeit konzentriere ich mich auf Transformationsprozesse, bei denen ich davon ausgehe, dass wir immer sowohl eine digitale als auch eine analoge Komponente beachten müssen. Der von mir entwickelte Begriff der digital-analogen Lebensrealitäten ist immer noch eine der wichtigsten Aspekte meiner Arbeit. In diesem Gespräch sind wir unter anderem auf die Frage gekommen, warum gerade jetzt Kulturinstitutionen im digitalen Raum aktiv sein sollten bzw. warum jetzt die Zeit für digitale Transformationsprozesse im Kultursektor gekommen sein könnte.
Es gibt verschiedene Ansätze sich mit dem Thema Digitalisierung zu beschäftigen. Sehr oft wird dabei einfach ein Plan für die Integration bzw. Implementierung einer hohen Zahl digitaler Angebote entwickelt. Man versucht Digitalisierung als Technologie-Thema zu verstehen. Ich halte das für falsch. Ich glaube vielmehr, dass im Kontext der Digitalisierung die eigentlichen Technologien eher eine untergeordnete Rolle spielen bzw. spielen sollten. Dies hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist sicherlich, dass wir es mit extrem kurzen Innovationszyklen zu tun haben. Das bedeutet, in sehr kurzer Zeit erleben wir das Aufkommen immer neuer Technologien, die man dann theoretisch immer auch gleich nutzen muss. Eine Fokussierung auf Technologien bedeutet, dass wir letztlich einfach nur kontinuierlich Angebote austauschen bzw. neu entwickeln müssen. Im schlimmsten Fall entsteht dadurch jeweils ein neues Projekt. Wenn wir uns den digitalen Raum, wenn wir uns digitale Angebote, wenn wir uns digitale Plattformen genauer ansehen, dann können wir feststellen, dass egal welche Technologien gerade aktuell sind, die damit verbundenen kulturellen und strukturellen Rahmenbedingungen mehr oder weniger gleich geblieben sind. Wenn wir uns zum Beispiel Bücher wie das Cluetrain-Manifest durchlesen, dann stellen wir fest, dass die darin enthaltenen Visionen und Modelle bis heute Gültigkeit haben, obwohl dieses Buch schon über 18 Jahre alt ist. Ein anderer Aspekt ist der, , dass wir bei einer Fokussierung auf Technologien den analogen Teil der Digitalisierung vergessen. Es gibt keine digitalen Menschen. Es gibt sehr wohl analoge Kommunikation im digitalen Medien. Natürlich verändert der digitale Raum alles. Aber wenn wir den analogen Teil des Ganzen nicht mit beachten, wenn er nicht Teil unserer Strategie wird, dann können wir in diesem Bereich nicht erfolgreich sein.
Unabhängig davon Ist es meines Erachtens gerade die beste aber vielleicht auch die wichtigste Zeit, um als Kultur- oder Bildungsinstitution Teil der Digitalisierung zu werden. Denn es sieht nicht gut aus für den digitalen Raum. Ja, die letzten Jahre ist einiges passiert. Und auch in den Bereichen Kultur und Bildung hat sich einiges bewegt. Für die meisten Kulturinstitutionen gehört es heute zum guten Ton beispielsweise in sozialen Medien aktiv zu sein Und selbst kleine Institutionen mit geringen Budgets und schwachen Strukturen finden Wege, um hier eigene Angebote zu installieren. Und doch ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Wir müssen feststellen, dass der Großteil dieser Aktivitäten leider ohne jegliche Relevanz ist. Der digitale Raum wird mehr und mehr zu einer oberflächlichen Plakatwand. Statt Austausch und Entwicklung erleben wir Pöbelei und Populismus. Am linken und rechten Rand unserer Gesellschaft aber auch bei religiösen Extremisten und vielen anderen Bereichen entsteht offensichtlich der Wunsch, den digitalen Raum zu einem Schrei-Laut-Sag-Nichts-Problem umzubauen. Nicht weniger schlimm sind die vielen unsäglichem PR-Kampagnen drittklassiger PR-Agenturen, die auf eine mehr oder weniger perfide Art und Weise versuchen, ein Gefühl von Partizipation zu erzeugen. Kleine sinnlose Spielchen, die möglichst viel Traffic erzeugen sollen.
Dieser Irrsinn hat auch im Kultursektor Anhänger gefunden. Damit man mich nicht falsch versteht, Ja, auch ich kenne sehr spannende Projekte im digitalen Raum. Aber wenn wir uns ansehen wie sich der digitale Raum im Moment bewegt, wenn wir sehen wie die Digitalisierung gesellschaftlich diskutiert wird, wenn wir sehen wie wenig Verantwortungsgefühl Kultur, Bildung, Politik, Wirtschaft für diesen Teil unserer Gesellschaft zeigen, dann muss uns Angst und bange werden.
Ich möchte aber den Teufel nicht an die Wand malen oder für schlechte Laune sorgen. Die aktuelle Situation ist schlimm, aber sie ist nicht trostlos. Der gesamte digitale Raum ist instabil und fluide. Das bedeutet, man kann immer neue Wege finden, neue Diskussionen beginnen, neues Publikum finden, neue Form der Vernetzung ermöglichen. Aber man muss es tun. Die Aufgabe von Social Media im Kultursektor ist m.E. nicht, dafür zu sorgen, dass ein Museum oder ein Theater mehr Besucher bekommt. Die Aufgabe von Social Media au Sicht des Kultursektors muss sein, sowohl digital als auch analog Kultur zu ermöglichen, Kultur zur Diskussion zu stellen, ja überhaupt erstmal Kultur sichtbar zu machen und den digital analogen Kulturraum zu gestalten. Und da der digitale Raum im Moment eher langweilig ist, Ist dies vielleicht der beste Augenblick um hier aktiv zu werden.
Denn wir brauchen Kunst und Kultur im digitalen Raum. Wir brauchen Andersartigkeit im Digitalen. Wir brauchen digitales Multikulti. Und wir brauchen Institutionen, die in der Lage sind, diese Vernetzungen zu erzeugen, damit aus den einzelnen Filter-Bubbles ein multikulturelles Netzwerk wird. Ich habe keine Patentlösung dafür. Aber Ich glaube, dass wir in einer „kommerziellen Welt“, in der es weniger um das Individuum und vielmehr um Absatzzahlen geht, Gegenmodelle brauchen, die nicht die Aufgabe haben, das System zu zerstören, aber die Aufgabe haben, es herauszufordern. Dies mag vielleicht die wichtigste Aufgabe für Kulturinstitutionen im digitalen Raum sein. Durch anders sein, durch neue Wege und neue Ideen den digitalen Raum in der Breite zu gestalten. Dafür musste der Kultursektor aber mit aller Kraft und alle Energie Teil des Digitalen werden. Dies bedeutet auch, seine eigenen Strukturen und Funktionen, ja jedes Management-Modell, jede Form der Selbstwahrnehmung zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu ordnen. Digitale Transformation bedeutet nicht einfach den Einsatz neuer digitaler Technologien, sondern einen radikalen Umbau der eigenen Organisation und eine Weiterentwicklung des eigenen Selbstverständnisses.
Beste Grüße
Christoph Deeg