Liebe Leser,
im Moment findet gerade eine sehr spannende Diskussion statt. Der Vorsitzende der Partei die Grünen Robert Habeck hat sich bei Twitter und Facebook verabschiedet. Dies geschah, nachdem er einige schlechte Erfahrungen im digitalen Raum gemacht hat. Ich möchte jetzt nicht die ganze Thematik noch mal aufrollen, ich möchte jetzt nicht eine weitere Feedbackschleife erstellen, die sich mit der Frage beschäftigt, ob es richtig ist, dass ein Parteivorsitzender sich aus den sozialen Medien zurückzieht oder nicht. Was Robert Habeck aber macht, ist, dass er die Gründe dafür öffentlich macht, und sie zur Diskussion stellt. Dafür zolle ich ihm Respekt.
Mir hat die Diskussion aus verschiedenen Gründen sehr zu denken gegeben. Und ich möchte diese einzelnen Gedankengänge hier kurz aufschreiben, auch wenn sie noch lange nicht abgeschlossen und in Teilen sogar widersprüchlich sind. Grundsätzlich finde ich es schwierig, wenn wir von Menschen verlangen oder erwarten, dass sie sich in sozialen Medien bewegen müssen. Gleichzeitig denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass gerade in der politischen Diskussion der digitale Raum mit einbezogen wird. Aber die damit verbundene Erwartungshaltung geht sehr oft in die falsche Richtung. Wenn ich mir parteiübergreifend die Profile von Politikern in den sozialen Medien ansehe, so habe ich so gut wie nie das Gefühl, dass die hier aktiven Personen überhaupt ein Interesse am digitalen Raum haben. Es ist schon mehrfach passiert, dass Politiker einen Posten oder eine Aufgabe verloren haben, und daraufhin ihre Accounts in den sozialen Medien gelöscht haben. Das alles wirkt nicht wie ein wirkliches Interesse am digitalen Raum. Ist es also alles nur PR?
Zudem wird immer darauf verwiesen, dass es so wichtig sei, dass man authentisch im digitalen Raum unterwegs ist. Aber was ist, wenn ein Politiker einfach überhaupt kein Interesse am digitalen Raum hat? Und was meinen wir mit dieser Authentizität? Denn auch wenn man, wie ich finde zu Recht, die Aktivitäten eines Donald Trump in den sozialen Medien kritisiert, er ist trotzdem authentisch. Vielleicht haben wir den Fehler gemacht, dass wir eine Erwartungshaltung entwickelt haben, die dahin geht, dass jede Person die in irgendeiner Form „abhängig“ von Kommunikation ist, auch in den Sozialen Medien aktiv sein muss. Sehr oft wird die Relevanz der Aussagen von Politikern auch an der Anzahl Ihrer Follower oder Fans festgemacht – welch ein Blödsinn!
Man kann viel über die Ansichten von Robert Habeck diskutieren. Wir müssen aber ernstnehmen, dass diese Person kein Interesse mehr an bestimmten sozialen Medien hat. Ja, er nimmt sich damit aus der Kommunikation auf diesem Plattform heraus. Ja, er überlässt damit die Diskussion anderen, und er kann danach nicht verlangen, dass die Diskussion in seinem Sinne geführt wird. Aber dies kann er auch nicht, wenn er z.B. das Thema einer Stammtisch-Diskussion irgendwo in einem Biergarten wird.
Ich denke, dass wir hier ein weiteres Beispiel dafür erleben, wie schwierig es ist, sich auf digital analoge Lebensrealitäten in all ihrer Komplexität und Individualität einzulassen. In Deutschland haben wir ein großes Problem mit der Digitalisierung. Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung, sie alle waren in der Breite bis heute nicht in der Lage, auch nur ansatzweise den digitalen Raum bzw, die digital analoge Lebensrealität unserer Gesellschaft mitzugestalten. Sie folgen ein paar Trends, versuchen mit mehr oder weniger schlauen PR Abteilungen digital zu wirken, aber eigentlich wollen sie es nicht.
Bis jetzt wirken die meisten Aktivitäten in den sozialen Medien, wenn es um die von Politikern, Kulturinstitutionen, Bildungsinstitutionen und auch vielen Unternehmen geht, wie eine große Plakatwand. Man hat noch immer nicht verstanden, was es bedeutet, wenn man sich in einem Dialogmedium bewegt. Ja, man möchte ein kleines bisschen Dialog ermöglichen, was dann aber in den meisten Fällen zu ziemlich langweiligen PR-Kampagnen mutiert. Ein Dialogmedium bedeutet, dass ich in dem Moment indem ich ein Wort schreibe, die Kontrolle über dieses Wort bzw. den Inhalt verliere. Ich habe keine Deutungshoheit. Alles was ich mache und tue kann durch die Community verändert, negiert oder sogar gegen mich verwendet werden. Es gibt keinen Automatismus, dass man, nur weil man im digitalen Raum aktiv ist, auch die Ziele die man damit verbindet umsetzen kann. Halten wir das aus? Welche Strategien werden dafür benötigt? Kann es sein, dass die „alten“ Strategien hier nicht mehr greifen?
Ein weiteres Problem ist meiner Meinung nach, dass wir uns im Kontext der Digitalisierung noch immer und viel zu sehr auf die Nutzung von Technologien konzentrieren. Ich habe schon vor längerer Zeit das TFK-Modell entwickelt, welches letztlich ein Gedankenmodell ist, mit dem man sich dem Thema Digitalisierung in seiner Breite nähern kann. Hierbei teile ich alle Elemente der Digitalisierung immer in die drei Bereiche Technologie, Funktion und Kultur ein. Technologie meint die eigentlichen Technologien, unabhängig davon ob es sich dabei um Hard- oder Software handelt. Funktion wiederum meint alle Dinge die ich mit diesen Technologien tun kann. Und Kultur beschreibt schließlich zwei Bereiche. Zum einen geht es bei dem Begriff Kultur um die Frage, was es mit den Menschen macht, wenn sie diese Technologien nutzen bzw. die damit verbundenen Funktionen kontinuierlich angewendet werden. Zum anderen beschreibt Kultur die Rahmenbedingungen die benötigt werden, um eine Nutzung bzw. eine sinnvolle Nutzung der digitalen Medien und ihrer damit verbundenen Aktivitäten im analogen Raum zu ermöglichen. Es geht bei Kultur also sowohl um den Blick nach außen als auch nah innen.
Wir müssen endlich einen Weg finden, digital analoge Lebensrealitäten zu verstehen und zu bearbeiten. Wenn wir wirklich eine Gesellschaft der Zukunft entwickeln wollen, dann müssen wir zuerst akzeptieren, dass der digitale Raum ein Teil davon ist. Er ist eben nicht die Plattform für nette kleine PR-Kampagnen, die in der Breite überhaupt keinen Sinn machen. Er ist ebenso wenig ein Ort für sinnlose Beschimpfungen und Verflachung. Wir müssen Wege finden, wie wir die Vorteile, die sich aus der Nutzung von Twitter, Facebook, Instagram und Co. ergeben auch nutzen.
Leider sehe ich im Moment keine einzige Partei, die sich dieses Themas wirklich angenommen hat. Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass die vorhandenen Parteien entweder verstanden haben, dass Digitalisierung einen umfassenden Wandel in der Gesellschaft erfordert, und diesen Wandel nicht gehen wollen. Der andere Teil möchte einfach keinen Kontakt mit dem digitalen haben, weil sie die damit verbundenen Strukturen und die damit verbundene Kultur ablehnen.
Die Frage ist also nicht, ob Robert Habeck bei Twitter aktiv ist oder nicht. Wahrscheinlich sind die weitaus meisten Accounts von PolitikerInnen im digitalen Raum sogar irrelevant. Die Frage ist aber, wie sich das politische System mit der digital-analogen Lebensrealität beschäftigt. Anders ausgedrückt: Bekommt die Politik irgendwann ein digitales Verantwortungsgefühl?
Beste Grüße
Christoph Deeg