Liebe Leser,
in den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit der digitalen Transformation unserer Gesellschaft beschäftigt. In dieser kleinen Miniserie über die Digitalisierung versuche ich, alle diese Gedanken zusammen zu fassen. In diesem Beitrag soll es um den Umgang der Politik mit dem Thema Digitalisierung gehen. Es ist der erste Teil, in dem es um eine Analyse des Ist-Zustands geht. Später folgen dann weitere Beiträge:
Wenn man sich mit dem Thema Politik im Kontext der Digitalisierung unserer Gesellschaft beschäftigt, wird man automatisch ungerecht. Sicherlich können sich die meisten Menschen darauf verständigen, dass die Politik in diesem Land gefühlt mehr oder weniger unfähig ist, sich vernünftig mit dem Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen. Die Gründe warum man mit der Arbeit der Politik unzufrieden ist, sind dann aber sehr unterschiedlich. Die einen fordern mehr Datenschutz, die anderen fordern weniger Datenschutz. Die einen fordern ein modernes Urheberrecht, die anderen fordern einen Konsens das alte Recht beizubehalten. Die einen wollen Hochgeschwindigkeitsnetze, die anderen fragen sich ob Digitalisierung überhaupt sein muss. Die einen möchten Tablets und Smartphones in Schulen und anderen Kultur und Bildungseinrichtungen sehen, die anderen möchten Bildung und Kultur komplett analog halten.
Alle diese Sichtweisen haben ihre Berechtigung. Ich persönlich glaube, dass wir längst über den Punkt hinaus sein sollten, indem wir immer von den krassen Gegensätzen reden. Denn letztlich haben wir es längst mit digital-analogen Lebensrealitäten zu tun. Das Ziel ist also nicht „entweder – oder“ sondern „sowohl als auch“. In diesem Beitrag möchte ich nicht meine Kritik an der Politik wiederholen. Mir geht es nicht darum zu beschreiben, warum ich für oder gegen Digitalisierung bin. Mir ist wichtig herauszufinden, warum Politik ein so großes Problem mit der Digitalisierung hat. Denn egal wie wir es drehen und wenden, als eine der reichsten Industrienationen der Welt sind wir leider im Bereich der Digitalisierung Niemandsland. Schon diese Feststellung wird immer gerne diskutiert. Es heißt dann, man habe doch in einigen Bereichen aufgeholt oder man sei doch in einigen Bereichen besonders weit. Aber geht es wirklich um die Frage, ob wir irgendwo ein Land finden, in dem es noch schlechter läuft? Sollte es nicht vielmehr um die Tatsache gehen, dass wir zumindest in der Theorie durch die Digitalisierung eine bessere Gesellschaft realisieren können?
Es ist ja nicht so, dass Politik nicht in der Lage wäre, bestimmte Bereiche unserer Gesellschaft massiv zu unterstützen, koste es was es wolle. Der Umgang gerade der deutschen Politik mit der Automobilindustrie zeigt ganz deutlich, dass Politik durchaus in der Lage ist, einen Wirtschaftsbereich radikal und exzessiv zu unterstützen. Mir ist die Bedeutung der Automobilindustrie für unser Land durchaus bewusst. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass eben jene Industrie im Vergleich zu dem was die Digitalisierung an Chancen und Risiken bringt, er irrelevant ist. Und wahrscheinlich würde die Kritik an Facebook, Google und Co anders aussehen, wenn es sich dabei nicht um US-amerikanische, sondern um deutsche oder europäische Unternehmen handeln würde. Woran aber liegt es, dass Politik offensichtlich große Schwierigkeiten hat, das Thema Digitalisierung zukunftsorientiert anzugehen? Zum einen hat es sicherlich damit zu tun, dass Politik bis heute nicht verstanden hat, was die Digitalisierung für eine Gesellschaft wie die Unsrige bedeutet. Und dabei ist es unerheblich, ob wir dabei mit eigenen Unternehmen aktiv sind.
Zum anderen dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass die Politik selbst transformiert wird und damit Teil des Problems ist. Das ist nicht negativ gemeint. Das politische System befindet sich in einem weitreichenden Transformationsprozess. Dabei ist die Digitalisierung nur ein Teil einer viel größeren Herausforderung. Die Digitalisierung bedeutet für die Politik zweierlei: zum einen muss sie selber einen Weg finden, eine Kompatibilität mit der digital-analogen Lebensrealität ihres Umfeldes herzustellen. Dies beginnt bei der Nutzung digitaler Technologien als Querschnittsfunktion der politischen Arbeit und endet mit der Übernahme der damit verbundenen Denk- und Arbeitsweisen. Digitalisierung bedeutet auch hier nicht einfach die Nutzung digitaler Technologien. Sie bedeutet auch einen Umgang mit neuen Formen der Transparenz, neuen Formen der Kommunikation, eine Abkehr von der Deutungshoheit und klaren Abläufe, das Aufkommen kurzfristiger Interessengruppen und das Entstehen einer neuen Öffentlichkeit. Zum anderen wird sie mit einer Vielzahl an neuen Themen und politischen Fragestellungen konfrontiert, die in immer kürzeren Zeitabständen politische Entscheidungen verlangen, ohne das Politik die Chance hat, die Konsequenzen eben dieser Entscheidungen abzusehen.
Die Digitalisierung bedeutet aber auch eine massive Veränderung der Gesellschaft, wobei wir immer öfter erleben, dass wir nicht wissen, was zuerst da war: die gesellschaftliche Veränderung oder die Digitalisierung. Was wir wissen ist, dass die Digitalisierung nur die Spitze des Eisberges der digitalen Transformation unserer Gesellschaft darstellt. So muss eine Partei wie die SPD feststellen, dass es den Arbeiter einfach nicht mehr bzw. kaum noch gibt. Für die neuen Berufs- und Lebensplanungen hat diese Partei aber (bis jetzt) keine Konzepte. Die CDU/CSU erlebt, dass der moderne Konservatismus nicht funktioniert, wenn er versucht wie ein Schutzschirm die gute alte Zeit zu bewahren. Auch diese Parteien haben bis heute kein tragfähiges Digitalisierungskonzept entwickeln können. Gleiches gilt für die FDP und die Grünen, wobei letzteres sehr traurig ist, denn eine ökologische Weiterentwicklung unserer Gesellschaft wird nur durch eine massive Konzentration auf die Digitalisierung als Querschnittsfunktion der Erneuerung der Gesellschaft funktionieren. Die AfD scheint auf den ersten Blick Digitalisierung zumindest umzusetzen, nutzt diese Partei doch das Web und vor allem die Sozialen Medien für ihre Kampagnen und Wutreden. Bei genauerem Hinschauen erkennt man aber, dass hier nur ein Medium für die Radikalisierung und Emotionalisierung einzelner Gesellschaftsbereiche genutzt wird. Auch diese Partei hat keinen Bezug zum Digitalen – im Gegenteil, sie wird wahrscheinlich nie mit der sich aus der Digitalisierung ergebenden kulturellen Diversität umgehen können. Hier erkennt man sehr deutlich, dass eine Organisation, die im digitalen Raum aktiv ist, deshalb noch lange nicht ein Innovationsmotor in der gesellschaftlichen Weiterentwicklung auch im Kontext der Digitalisierung ist. Die LINKE schließlich hat den digitalen Raum für ihre Protest-Strategie genutzt, ist aber was die Digitalisierung als Gesellschaftsfunktion angeht ebenfalls weit hinter ihren Möglichkeiten geblieben.
Damit man mich nicht falsch versteht. Gewiss mag es in manchen von den genannten Parteien schlaue Köpfe geben, die sich der Bedeutung der Digitalisierung durchaus bewusst sind, jedoch werden diese Personen entweder nicht gehört oder nicht verstanden. Anders ist die aktuelle Situation nicht zu erklären. Denn noch immer ist es vor allem persönliches Glück, wenn man auf dem Land und teilweise auch in den Städten über einen halbwegs nutzbaren Internetzugang verfügen kann. Und noch immer sind die PR-Bandbreiten der meisten Anbieter eher ein schlechter Witz. Die Bereiche Kultur und Bildung sind so extrem langsam, wenn es um die Nutzung bzw. Gestaltung der Digitalisierung geht, dass sie in diesem Bereich – bis auf ein paar wenige Ausnahmen – keine Rolle spielen. Schon das Fach Informatik ist noch immer kein Standartangebot jeder Bildungseinrichtung, von Gamification und Co. Ganz zu schweigen. So generiert unsere Gesellschaft immer mehr digitale Analphabeten, was sowohl die Nutzung der Hard- und Software als auch das Erstellen von Kontexten angeht.
Die Frage ist nun, ob wir uns in der Diskussion über die aktuelle Situation der Politik im Kontext der Digitalisierung auf bestimmte Definitionsmuster einigen können? Woran liegt es, dass sich politische Organisationen so schwer mit der Digitalisierung tun? Und gilt es in der Zukunft, diese Organisationen zu transformieren bzw. zu retten oder müssen wir uns grundsätzlich überlegen, ob wir nicht komplett neue Strukturen brauchen? Und was bedeutet das für den einzelnen Bürger? Muss er sich (endlich) seiner Verantwortung im Kontext der Demokratie bewusst werden und mehr aktiv gestalten? Ich habe meine eigenen Ideen und Analysen und in einem der nächsten Beiträge werde ich darüber schreiben.
Beste Grüße
Christoph Deeg