Liebe Leser,
ich sitze wieder beim Frühstück in Mexiko. Gestern war ein sehr langer Tag. Wir hatten uns viel vorgenommen – und am Ende haben wir auch alles geschafft. Zuerst haben wir uns die letzte teilnehmende Bibliothek angesehen. Es war die Bibliothek des Goethe-Instituts. Die Bibliothek ist eher klein, sie bietet aber eine Vielzahl an Möglichkeiten. Dies liegt u.a. daran, dass sie sowohl im analogen als auch im digitalen Raum gut vertreten ist. Sie bietet über die OnLeihe eBooks und andere Medien an und ermöglicht auch den kostenlosen Zugang zu verschiedenen deutschen Zeitschriften. In der Bibliothek erfolgt der Zugang vor allem über iPads und somit haben wir einen digital-analogen Raum, den wir „bespielen“ können.
Nach der intensiven Analyse ging es nun um die Story. Die Story ist in diesem Projekt besonders wichtig, denn sie definiert, was der Spieler warum tun soll. Sie ist zudem der Aufhänger für die Aktivitäten in den Bibliotheken. Es ist quasi der narrative Rahmen. Gleichzeitig darf die Story die Bibliotheken nicht einengen. In Projekten mit Institutionen wie z.B. Bibliotheken ist es wichtig, eine Story zu entwickeln, die auch zu den Institutionen passt. In meinem letzten Beitrag hatte ich bereits geschrieben, dass ich dazu tendiere, vor allem die analoge Buchkultur als ein wichtiges Element der Story zu nutzen. Auf Basis der vorab kommunizierten Wünsche der Bibliotheken habe ich eine erste Idee entwickelt und diese zur Diskussion gestellt. Die Bibliotheken wandelten diese Idee um und nun haben wir eine Story.
Ich darf und möchte nicht zuviel verraten, aber es geht darum, die Bücher vor einer mysteriösen Krankheit zu retten. Dabei ist während des ganzen Spiels nicht klar, ob die Aktivitäten des Spielers den Büchern helfen oder eher schaden. Nachdem wir die Story definiert hatten, mussten wir uns nun wieder um die Bibliotheken kümmern. Da jede Bibliothek eine individuelle Erfahrungswelt sein soll, müssen wir die Besonderheiten der Bibliotheken herausarbeiten. Dabei geht es nicht nur um das Gebäude, sondern ebenso um den Bestand, die Services, die Ressourcen, die Historie etc. Am Schluss entsteht ein Portfolio von Alleinstellungsmerkmalen, die dann zuerst in die Logik des Spiels „übersetzt“ werden. Erst wenn dieser Schritt abgeschlossen ist, können wir mit den Aufgaben, Feedbacksystemen und dem Balancing beginnen.
Die Beschäftigung mit den jeweiligen Besonderheiten der Bibliotheken aus Sicht eines Gamers ist immer ein Aha-Erlebnis. Viele Dinge, die man gar nicht mehr wahrnimmt oder die man noch nie wahrgenommen hat, bekommen nun eine ganz neue Bedeutung. Ich habe schon öfter erlebt, dass auf Basis dieser Erkenntnisse vorhandene Angebote hinterfragt und neu gestaltet wurden.
Somit ist die Entwicklung eines Games sehr oft auch verbunden mit einer strategischen Analysephase der eigenen Institution, die spätestens bei der Implementierung des Spiels eine besondere Bedeutung bekommt. Man merkt also, dass die Entwicklung eines solchen Spiels vor allem viel Recherche und Geduld erfordert…
Beste Grüße
Christoph Deeg