Liebe Leser,
ich sitze wieder beim Frühstück in Mexiko-City und nun folgt der zweite Beitrag zu meinem Mexiko-Gaming-Projekt:
Gestern fand der erste Workshoptag statt. Ich habe die Teilnehmer kennengelernt und wir haben damit begonnen, uns den Themen Game-Design und Gamification zu widmen. Der erste Tag ist immer besonders spannend. Man lernt eine Gruppe von unbekannten Menschen kennen und man weiß, man wird mit diesen Menschen über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten. Wie stehen diese Menschen zum Thema „Gaming“? Welche Erfahrungen bringen sie mit? In diesem Projekt arbeite ich mit Bibliotheken zusammen. Es geht also um Institutionen aus der Buchkultur, die nun auch den Bereich Gaming nutzen möchten. Nach einer ersten Vorstellungsrunde haben wir sofort damit begonnen, mit verschiedenen Utensilien erste kleine analoge Spiele zu entwickeln. Dieser Teil des Workshops ist besonders spannend, denn hier kann ich sehen, wie weit die Teilnehmer sind und wie sie sich dem Thema nähern.
Es entstanden spannende Spielideen und obwohl 30% der Teilnehmer angaben, keine Gaming-Erfahrung zu haben, machten alle mit. Am Ende stellten wir fest, dass letztlich alle Teilnehmer Gaming- bzw. Spiel-Erfahrung haben. Das Missverständnis ist, dass man glaubt, beim Thema Gaming ginge es nur um digitale Spiele. Aber Spielen ist keine Tätigkeit, die mit der digitalen Transformation zu uns kam. Spielen ist eine Kernfunktion unserer Spezies. Und Spielen funktioniert in den Grundfunktionen in jeder Kultur gleich. Die Kulturformen verändern die Art und die Inhalte des Spiels, aber die Basis ist überall gleich und Spielen gehört zu unserer „Basis-Programmierung“. Es ist vergleichbar mit der Baby-Sprache: Alle Babys haben weltweit die gleichen Sprachlaute, ehe sie dann von ihren Eltern eine „funktional-struktuierte Sprache erlernen“. Und genau so verhält es sich mit Spielen. Wenn wir uns also mit Spielen/Game-Design/Gamification beschäftigen, dann beschäftigen wir uns nicht mit etwas exotischem, sondern mit der grundsätzlichen Lebensrealität der Menschen. Es ist quasi Lernen und Arbeiten ohne Umwege – es ist menschliche Interaktion und menschliches Handeln.
Gestern haben wir uns zudem mit den Kernelementen von Game-Storys und ihren Unterschieden zu Buch-Storys beschäftigt. In dieser Gruppe sind nur Mitarbeiter aus Bibliotheken, d.h. sie kennen sich gut mit Storytelling aus. Aber Storytelling im Kontext von Gaming ist etwas anderes. Wir haben uns auch über Ziele und Aufgaben unterhalten. Hier wurde klar, dass wir bei vielen Tätigkeiten vergessen, wie sie eigentlich funktionieren. Nahezu jeder Mensch weiß, wie ein Buch bzw. wie Lesen funktioniert. Wir öffnen das Buch. Wir lesen den Text in einer bestimmten Richtung. Wir blättern um. Wir schließen das Buch. Im Kontext von Gaming ist es wichtig, jeden einzelnen Schritt neu zu überdenken und wahrzunehmen. Dieser Teil des Workshops zeigt gut, wie Gaming/Gamification auch in anderen Kontexten relevant sein kann, denn man versteht bzw. entdeckt seine eigene Arbeit neu. Schließlich ging es um das wichtige Thema des „Gaming-kompatiblen Umfeldes“. Eine Bibliothek ist ein Ort der Buchkultur. Nun muss sie auch ein Ort der Spielkultur werden – und dies ohne die Buchkultur zu verdrängen. Hier haben wir festgestellt, dass schon die Definition einer Bibliothek bzw. der Buchkultur sehr schwer ist. Denn bei genauem Hinsehen erkennen wir, dass es viele verschiedene Formen der Buchkultur gibt – und Bibliotheken nur einen Teil davon verstanden haben bzw. damit arbeiten.
Am Abend habe ich mir dann „meinen“ Stadtteil angesehen und an Orten gegessen, an denen Mexikaner essen. Und täglich erhöht sich der Schärfegrad…
Nun geht es in den zweiten Workshoptag – ich bin gespannt:-)
Beste Grüße
Christoph Deeg
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