Bibliotheken als Innovationsträger einer Stadt oder Gemeinde – Teil 1

Liebe Leser,

seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit den Auswirkungen des digitalen Transformationsprozesses auf unsere Gesellschaft. Dabei sind viele Konzepte und Ideen entstanden, die sich auch mit neuen Aufgaben von Kultur- und Bildungsinstitutionen befassen. Ein Konzept ist das der „Bibliothek als Innovationsträger einer Stadt oder Gemeinde“. Dieser Ansatz soll die klassische Bibliotheksarbeit nicht abschaffen sondern vielmehr erweitern. Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war die Erkenntnis, dass sich noch immer sehr viele Bibliotheken rechtfertigen müssen, wenn Sie sich im digitalen Raum intensiv bewegen möchten. Auf Basis dieses Konzeptes habe ich dann mit der Entwicklung digital-analoger Bibliotheksstrategien begonnen – ein Themenbereich, bei dem ich immer mehr Bibliotheken berate und begleite. Der folgende Text ist etwas länger, deshalb habe ich ihn in zwei Teile geteilt. Der erste Teil beschreibt die Ausgangslage der Bibliotheken zum jetzigen Zeitpunkt. Der folgende zweite Teil beschäftigt sich mit dem konkreten Ansatz der Bibliothek als Innovationsträger:

Die Bibliothek als Innovationsträger – Ausgangslage

In den letzten Jahren hat sich unsere Gesellschaft nachhaltig verändert. Die fortschreitende Digitalisierung bringt nicht nur neue Kommunikations- und Medientechnologien sondern ebenso eine neue Art der Erschließung, Wahrnehmung, Kommunikation und Vermittlung von Inhalten mit sich. Diese neue Kultur bzw. diese neue Form zu Denken und zu Arbeiten hat einen tiefgreifenden, umfassenden und nachhaltigen Einfluss auf die analoge und die digitale Welt. Dieser Einfluss erstreckt sich sowohl auf Unternehmen als auch auf öffentliche Institutionen.

Die digitale Revolution hat auch und vor allem einen Einfluss auf die heutige und zukünftige Bibliotheksarbeit. Bibliotheken erleben seit ca. 10 Jahren einen tiefgreifenden Wandel. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft sorgt dafür, dass die Aufgaben und Zielsetzungen von öffentlichen Bibliotheken neu definiert werden (müssen). Dabei geht es nicht um eine Abschaffung von Bibliotheken oder ihren Aufgaben. Durch die Digitalisierung werden Bibliotheken wichtiger als jemals zuvor. Sie werden zur Schnittstelle zwischen Kultur und Bildung bzw. zwischen der analogen und der digitalen Welt. In dieser Funktion sind sie Ansprechpartner, Lernort und Innovationsträger einer Kommune. Das bedeutet, dass öffentliche Bibliotheken in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden und eine gut aufgestellte Bibliothek zu einem relevanten Standortvorteil werden kann.

Neue Aufgaben für Bibliotheken

Öffentliche Bibliotheken haben schon immer eine besondere Funktion innegehabt. Sie waren und sind zugleich Orte der Bildung und Orte der Kultur. Des Weiteren waren Bibliotheken die ersten Institutionen, welche sich in der Breite intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen mussten.

Für die Bibliothekswelt ist die Digitalisierung Chance und Herausforderung zugleich. Dabei geht es auch um eine Kernaufgabe von Bibliotheken: dem Verleih von Medien. Bibliotheken haben (scheinbar – vor allem in der Wahrnehmung der Träger bzw. Teilen der Öffentlichkeit) bis heute vor allem die Aufgabe, Medien zu verleihen. Der Bestand ist quasi das Herzstück einer jeden Bibliothek. Er definiert ihre Bedeutung, ihren Zweck und er hat Einfluss auf ihre Struktur, ihre Ressourcen und ihre Organisationsentwicklung. Der Ort der Bibliothek, die Aktivitäten der Mitarbeiter, dies alles dreht sich vor allem um den jeweiligen Bestand.

Die Digitalisierung sorgt nun dafür, dass der Bestand einer Bibliothek zunehmend an Bedeutung verliert. Dies hat mehrere Gründe:

  • Die klassischen analogen Medien verlieren an Bedeutung. In den letzten Jahren sind zunehmend digitale Medien entstanden, die immer öfter die gleiche Relevanz wie analoge Medien haben. Manche dieser Medien – z.B. Datenbanken – sind nicht frei zugänglich. Hier ermöglichen Bibliotheken sehr oft den Zugang zu diesen Inhalten. Jedoch gibt es immer mehr digitale Medien, bei denen Bibliotheken keinen Zugang mehr ermöglichen können. Dies kann daran liegen, dass es sich um geschlossene, kommerzielle Systeme wie z.B. Amazon-eBooks, Steam, Spotify, Netflix etc. Hier kann die Bibliothek keinen Zugang ermöglichen. Ein anderer Grund ist die Tatsache, dass immer mehr Medien im Netz und vor allem frei zugänglich sind. Hier ist es nicht mehr notwendig, dass Bibliotheken einen Zugang ermöglichen – wichtig wäre hier nur ein Zugang zum Internet.
  • Die Anzahl der verfügbaren Medien steigt rasant an. Allein auf Youtube werden jede Stunde bis zu 7.000 Stunden Videomaterial hochgeladen. Jeder Versuch, bei dieser Menge an Daten die für die jeweilige Fragestellung relevanten herauszufinden, wird (leider) scheitern. Das bedeutet, auf der einen Seite hat sich der potentielle Bestand einer Bibliothek massiv – nämlich um alle frei verfügbaren Onlinemedien – vergrößert, auf der anderen Seite ist es nicht mehr möglich, diese Menge an Daten zu überblicken und so etwas wie eine Vorauswahl zu treffen.
  • Die Unternehmen, welche online wie offline Medien anbieten, ändern in kleinen Schritten ihr Geschäftsmodell, weg vom Verkauf und hin zum Verleih von Medien. Vor allem die Streamingtechnologie ist in immer mehr Haushalten zu finden. Gleichzeitig sinken die Preise für diese neuen Angebote.

Von der Bestands- zur Serviceorientierung

Sind Bibliotheken deshalb veraltet oder gar sinnlos? Nein, im Gegenteil. Die Digitalisierung der Gesellschaft macht Bibliotheken sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt zu den wahrscheinlich wichtigsten Institutionen überhaupt. Hierfür ist es nötig, einen Wandel von einer Bestands- zu einer Serviceorientierung zu ermöglichen. Bibliotheken haben dann zukünftig die Aufgabe, Menschen mit Inhalten und Informationen zu vernetzen, ganz egal wo sich die Menschen und Inhalte/Informationen gerade befinden. Sie sind zudem analoge und digitale Lernorte. Dies hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die digitalen und analogen Aktivitäten der Bibliothek, der Bibliothek als Ort sowie ihrer Position innerhalb einer Stadt bzw. Gemeinde.

Klar ist, nicht nur die Menge an Informationen und Inhalten sondern auch das Interesse daran wachsen kontinuierlich. Zudem erleben wir, dass sich Begriffe wie Kultur oder Bildung verändern bzw. neu definiert werden. Die schiere Masse an Informationen, die Tatsache, dass unser Wissen sich beinahe täglich erweitert und verändert, sowie die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit von Informationen und Inhalten geht einher mit neuen Formen der Kultur- und Wissensvermittlung. In der Zukunft geht es nicht mehr alleine um das klassische Faktenwissen, sondern mehr und mehr um die Fähigkeit, auf die jeweilige Frage in der Masse an Informationen eine relevante Antwort zu finden. So entstehen individuelle Lernnetzwerke, die es den Menschen ermöglichen sollen, angepasst an ihre Lebensrealität professionell mit Informationen und Inhalten umzugehen. Gerade in Bezug auf das so oft zitierte „lebenslange Lernen“ ist dies von großer Bedeutung. Es geht also nicht mehr um den (kostenlosen) Zugang sondern um den professionellen Umgang mit Informationen und Inhalten.

Somit entsteht für die öffentlichen Bibliotheken ein neues Aufgabenspektrum:

  • Der klassische analoge Bestand einer Bibliothek wird an Bedeutung verlieren
  • Der digitale Bestand einer Bibliothek in Form von Datenbanken, eBooks etc. wird an Bedeutung zunehmen. Dies wird aber nichts daran ändern, dass der Bestand an sich an Bedeutung verliert
  • Die Aufgabe einer Bibliothek wird zunehmend die Vermittlung von Inhalten und die Vermittlung von Know How bei der Wahrnehmung, Gewichtung, Erschließung etc. sein
  • Hier wird auch die soziale Aufgabe einer Bibliothek neu definiert bzw. erweitert
  • Bibliotheken haben auch die Aufgabe, ein „digitales Analphabetentum“ zu verhindern
  • Die vorhandenen Aufgaben und Projekte z.B. im Bereich der Leseförderung werden auch in Zukunft wichtig sein. Sie werden aber um neue Inhalte und Aktivitäten erweitert werden

Dieses neue Aufgabenspektrum ist nur realisierbar, wenn die Bibliothek in allen Bereichen neu gedacht wird. Im Folgenden möchte ich gerne die wesentlichen Punkte beschreiben:

  • Die Bibliothek als Ort muss an das neue Aufgabenspektrum angepasst werden. Dies bedeutet, dass die Bibliothek auf der einen Seite auch weiterhin der Ort sein sollte, in dem man analoge Medien ausleihen kann. Zudem muss die Möglichkeit bestehen, sich in Ruhe zurückzuziehen um z.B. ungestört zu lesen und zu lernen. Gleichzeitig ist es aber ebenso wichtig, dass die Bibliothek ein Ort ist, an dem man gemeinsam lernen, arbeiten und spielen kann. Dies ist mit einer gewissen Lautstärke verbunden. Zudem wird für diese Aufgabe eine erweiterte digital-analoge Infrastruktur benötigt. Schließlich ist es notwendig, dass Teile der Bibliothek frei veränderbar und nutzbar gemacht werden. D.h. es muss „freier“ Raum vorhanden sein.
  • Die Bibliothek benötigt zudem ein neues Konzept für die Bestandsarbeit. Hier geht es um die Frage, wie man den klassisch analogen Bestand mit den digitalen und vor allem frei zugänglichen Inhalten vernetzt und daraus Mehrwerte generiert.
  • Ein weiterer Punkt die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Angebote. Dabei geht’s es z.B. um die Frage, wie man die Leseförderung durch digitale Medien wie Games erweitern kann.
  • Ebenso wichtig ist die Frage, wie man in der Region neue Bildungs- und Kulturnetzwerke in der analogen und der digitalen Welt entwickelt bzw. vorhandene Netzwerke erweitert und ausbaut.
  • Schließlich geht es um eine Erweiterung des Know Hows der Mitarbeiter der Bibliothek, um die genannten Punkte umzusetzen.

Alle diese Punkte sind individuell erweiterbar und veränderbar. Es geht zum jetzigen Zeitpunkt darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Bibliotheken auch in der Zukunft arbeiten können. Allein die Tatsache, dass ein Großteil der Bibliotheken keinen freien Internetzugang hat, zeigt wie wichtig es ist hier aktiv zu werden. Erst wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können die weiteren Schritte (Entwicklung von Kontexten, Angebotsentwicklung etc.) umgesetzt werden.

Im nächsten Beitrag geht es dann um die Frage, wie der anstehende Transformationsprozess der Bibliotheken so gestaltet werden kann, dass dies zu Mehrwerten im Umfeld der Bibliotheken führt.

Beste Grüße

 

Christoph Deeg

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