Auf dem Weg in das Archiv 2.0 – oder warum die Niederlande keinen Fussball brauchen:-)

Liebe Leser,

in der letzten Woche habe ich nicht nur weitere Social-Media-Coachingtage und Social-Media-Workshops durchgeführt – ich durfte auch auf einer sehr spannenden Konferenz sprechen. Es handelte sich um die Konferenz „Offene Archive“ und es war quasi die erste Archiv-2.0-Konferenz in Deutschland.

Wenn man sich mit dem Thema Archive 2.0 beschäftigt muss man zuerst verstehen, dass Archive etwas besonderes sind. Im Gegensatz zu Institutionen wie z.B. Bibliotheken haben Archive einen gesetzlichen Auftrag. Sie sind quasi das „Gedächtnis unserer Gesellschaft“ D.h. sie sammeln, sichern und erschließen die Informationen und Inhalte, die es heute und in der Zukunft ermöglichen sollen, zu verstehen, was in unserer Vergangenheit geschah.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben Archive eigene Denk- und Arbeitsweisen entwickelt, die auf lange Zeit den Bestand und den Zugang zu Archivalien sicherstellen sollen. Im Laufe der Jahrzehnte entstand eine eigene Kultur, die nicht ohne weiteres kompatibel zur Kultur der digitalen Welt erscheint. In Archiven geht es um fachliche Erschließung, Langzeitarchivierung, Sichern und Bewahren, im Social-Web und der Welt des Gamings geht es um Kooperation, Teilen, Dialog auf Augenhöhe, Prozesshaftigkeit und Interaktion. Dies soll keine Kritik an den Archiven sein. Es gibt gute Gründe, warum Archive so handeln. Und somit ging es auf der Konferenz auch nicht darum, das Archiv an sich in Frage zu stellen. Es ging vielmehr um eine Erweiterung der Archivarbeit, um die Entwicklung zum Archiv 2.0. Also ein Langzeit-Update:-)

Gleichzeitig wissen wir gerade über Archive noch weniger als über Bibliotheken oder Museen. Die Arbeit eines Archivars erscheint vielen wie ein Mythos. Eine Bibliothekarin können sich viele Menschen noch vorstellen – auch wenn das Bild der grauen Maus mit Dutt nicht wirklich die Wirklichkeit darstellt. Aber was macht ein Archivar? Und so wie viele Menschen nicht wissen, was ein Archivar tut, wissen auch viele Menschen nicht, was man alles in einem Archiv machen kann – und vielleicht wissen das einige Archivare auch nicht…

Auf der Konferenz ging es um neue Wege, um einen Aufbruch, um eine neue Kultur. Und so geschah es:-) Ich werde jetzt nicht alle einzelnen Vorträge beschreiben. Ich möchte vielmehr meine persönlichen Gedanken zur Konferenz und dem Thema mit Euch teilen. Da ist zuerst die Freude, dass ich auf der Konferenz zum Thema Gaming sprechen durfte. Auf vergleichbaren Konferenzen geht es zumeist um Social-Media und das mobile Internet. Ich bin auch in diesen Bereichen sehr aktiv und führe jede Menge Workshops und Projekte wie die „Mobile-Internet-Roadshow“ durch. Aber das Thema Gaming wird immer gerne vergessen. Dabei ist es letztlich Social-Media 2.0. Wenn man wissen möchte, wie wirklich professionelles Community-Management, Storytelling, Social-Media-Management, Wissensmanagement usw. aussehen kann, muss man nur die Welt des Gamings beobachten.

Es gab eine Vielzahl an spannenden Vorträgen u.a. von Ulrike Schmidt und Christian Spließ Für mich waren aber vor allem die Reaktionen der Zuhörer interessant. Die Teilnehmer dieser Konferenz waren nach Speyer gekommen, weil sie den Weg in die digitale Welt 2.0 gehen wollten. Es gab also keine Grundsatzdiskussionen über die Frage, ob die digitale Welt nicht gefährlich ist bzw. ob man den wirklich in diesem Bereich aktiv sein muss oder ob das alles nicht ein Hype sei. Ebenso interessant war die Tatsache, dass man sowohl einen Blick von außen also z.B. durch mich, als auch einen Blick von innen von Archivaren aus ganz Europa, die bereits im Social-Web aktiv sind, wagen wollte. Es ergaben sich spannende Diskussionen und dabei entwickelten sich viele Ideen.

Kurz vor meinem Vortrag gab es keine Diskussion um Digitalisierungs-Strategien. Diese Diskussion ist nicht neu. Archive haben in den letzten Jahren damit begonnen vor allem ihre Findmittel zu digitalisieren. Im nächsten Schritt geht es nun um die Archivierung der eigentlichen Archivalien. Ich habe den Wunsch nach einer solchen Strategie in meinem Vortrag aufgenommen, und darauf verwiesen, dass Archive (und auch Bibliotheken und Museen) keine Digitalisierungsstrategie sondern einen digitale Strategie benötigen. Es reicht m.E. nicht aus, Inhalte zu digitalisieren. Man muss sich im gleichen Zug darüber Gedanken machen, wie man diese Inhalte vermittelt. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, möglichst viele Inhalte zu sichern. Erst wenn die Digitalisate von einer möglichst breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, macht der finanzielle Aufwand Sinn. Aus diesem Grund plädierte ich dafür eine digitale Strategie zu entwickeln, die sowohl die Digitalisierung als auch deren Vermittlung mittels Social-Media und Gaming beinhaltet. Und haben wir damit begonnen, uns Gedanken zu machen, wie diese Strategie aussehen könnte. Thomas Wolf hat in seinem Beitrag einen ersten Entwurf gepostet. Ich möchte nun heute meine Ideen zur Diskussion stellen. Damit wir besser arbeiten können habe ich bei Mindmeister.com eine öffentlich zugängliche Mindmap veröffentlicht.

Am Abend des ersten Tages gab es dann ein Kultup im Stadtarchiv in Speyer. Es war wirklich ein gelungener Abend. Und twittern aus Kulturinstitutionen macht wirklich Spass…

Mein persönliches Highlight war der Vortrag von Christian van der Ven zum Umgang mit der digitalen Welt in den Niederlanden. Er begann mit dem Beschreiben von Archiv-Barcamps und endete in einer niederländischen Version von 23things. Ich wusste schon länger, dass die Niederlande bei der Kultur- und Wissensvermittlung führend sind. In der Bibliothekswelt setzen sie den Standart. Bibliotheken wie die in Delft oder Amsterdam sind nur zwei Beispiele. Nun konnte ich erleben, dass auch die Archive in den Niederlanden führend sind. Wozu also braucht man erfolgreichen Fussball, wenn man solche erfolgreichen Bibliotheken und Archive hat?

Die Konferenz war ein voller Erfolg. Man kann den Organisatoren nur danken. Sie haben wirklich eine großartige Atmosphäre geschaffen. Nun gilt es, die Ideen und Visionen umzusetzen. Ein Archiv 2.0 ist möglich. Der Weg ist steinig aber er lohnt sich – für die Archive und für die Menschen.

Beste Grüße

Christoph Deeg

3 thoughts on “Auf dem Weg in das Archiv 2.0 – oder warum die Niederlande keinen Fussball brauchen:-)

  1. Good report, Christoph. I especially think you addressed the right cause, when summarizing why archives have been somewhat conservative in embracing new (social) media.
    Also thank you for your compliments about my presentation; the slides can be found here: http://www.slideshare.net/cvanderven/archives-20-in-the-netherlands
    In return ;-) I especially liked your presentation about gaming a lot as well. As I told you, I sometimes blog about ’stand-alone‘ archive games that are being released, but in general I see more prospect for gamification of certain archival tasks, such as crowdsourced transcription projects. You showed the audience some good examples of those.

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