Liebe Leser,
heute möchte ich Euch über meine Eindrücke und Gedanken zur MAI-Tagung in Bremerhaven, die letzte Woche Donnerstag und Freitag stattfand, berichten. „MAI“ steht für „Museums and the internet“. Es gibt die Tagung schon seit ein paar Jahren und sie ist immer eine Reise wert. Was mir an dieser Tagung besonders gefällt ist die Tatsache, dass es nicht nur um Social Media sondern um den gesamten Themenblock Internet geht. Dieses Jahr war ich in meiner Funktion als Leiter des Projektes „Technologieradar“ des Vereins Zukunftswerkstatt Kultur- und Wissensvermittlung dabei. Nun aber zu meinen Eindrücken.
Am ersten Tag war ich gar nicht direkt auf der Tagung. Ich konnte erst am Morgen von Berlin nach Bremerhaven fahren und war gegen 14h im Hotel. Da ich noch etwas arbeiten musste, entschied ich mich erst zum Abendevent zur Tagung zu kommen. Also nutzte ich Twitter und zum wirklich ersten Mal war Twitter von einer Tagung eine richtig tolle Sache. Die Idee direkt von einer Tagung zu twittern ist nicht neu, aber selten hat es so großen Spass gemacht. Man man konnte nicht nur lesen, was gerade auf der Tagung passierte. Es gab vielmehr eine lebhafte Diskussion zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern. Für alle passiven Twitterer war teilweise nicht mehr erkennbar, wer wirklich auf der Tagung ist und wer nicht. Es war bzw. ist also ein Best-Practice-Beispiel für Twitter und Konferenzen.
Am Abend gab es dann ein gemeinsames Essen – ich werde über die Speisen und den Service den Mantel des Schweigens hüllen. Sehr schön war aber die Tatsache, dass nun alle Twitterer, die auf der Tagung waren auch real miteinander redeten, lachten und diskutierten…
Am nächsten Tag war ich dann also live dabei. Der Tag begann mit sog. Shortcuts, also Kurzvorträgen. Man hatte inkl. Diskussion ca. 15 Minuten Zeit. In diesem Blog habe ich auch den Technologieradar vorgestellt. Der Technologieradar ist ein offenes Forschungsprojekt, d.h. alle können und sollen mitmachen. Wir (das sind bis jetzt die ETH-Bibliothek Zürich, die FH Potsdam und der Verein Zukunftswerkstatt Kultur- und Wissensvermittlung e.V.) möchten aktuelle und zukünftige Kommunikations- und Medientechnologien identifizieren und sie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Kultur- und Wissensvermittlung analysieren. Nächste Woche wird das auf viele Jahre angelegte Projekt auf dem Bibliothekartag in Berlin offiziell gestartet. Danach möchte ich Euch alle einladen mitzumachen. Ich werde dazu hier und auf dem Blog der Zukunftswerkstatt noch einiges posten.
Nach den Shortcuts – ich werde jetzt nicht alle beschreiben – gab es zwei für mich sehr spannende Vorträge. Zuerst war Ulrike Schmid an der Reihe. Sie hat eine sehr gute und informative Studie zur Nutzung von Social-Media-Werkzeugen durch Orchester und Museen vorgestellt. Ich kenne die Studie schon länger und bin immer wieder begeistert. Sie zeigt deutlich, dass es nicht darum geht, einen Account bei Facebook oder Twitter zu haben, sondern dann mit diesen Plattformen spannende Services zu entwickeln. Ulrike Schmid hat herausgefunden, dass viele Orchester und Museen zwar im Web 2.0 vertreten sind, jedoch leider nur selten alle damit verbundenen Möglichkeiten nutzen. Wenn ich nun aus Sicht des Kulturmarketing und der Kulturvermittlung die Ergebnisse der Studie mit meinen Erfahrungen vergleiche, komme ich zu dem selben Ergebnis. Es geht also in der nahen Zukunft nicht nur darum, Kulturinstitutionen zu aktivieren, mit Aktivitäten im Web 2.0 zu starten, sondern auch darauf zu achten, dass dabei interessante Mehrwerte und nachhaltige Projekte entstehen.
Nach dem Vortrag von Ulrike Schmid war Sebastian Hartmann an der Reihe. Er arbeitet für das Neanderthal-Museum und ist dort u.a. für den Bereich Social-Media verantwortlich. In seinem Vortrag zeigte er zum Einen, wie das Neanderthal-Museum im Web aktiv ist und zum Anderen, was seiner Meinung nach bei Aktivitäten im Web 2.0 beachtet werden sollte. Sehr interessant war für mich z.B. die Frage, wie man eigentlich Erfolg messen kann? Sebastian zeigte z.B. Rankings, die auf Followern bei Twitter und Fans/Freunden bei Facebook basierten. Sowohl Sebastian als auch allen Anwesenden war aber klar, dass die Anzahl an Followern und Fans etc. nur wenig über die Qualität der Onlineaktivitäten aussagt. Etwas skeptisch war ich bei der Frage nach der benötigten Zeit. Sebastian sprach von ca. 2 Stunden pro Woche. Ich sehe das etwas anders. Zwar lassen sich Inhalte in diesem Zeitrahmen hochladen bzw. kurze Kommentare verfassen, aber gerade dann, wenn spannende Inhalte erstellt werden sollen wird mehr Zeit benötigt. Natürlich kann man mit 2 Stunden in der Woche erste Aktivitäten starten. Jedoch wird man auf kurz oder lang mehr Zeit investieren müssen. Ich denke auch, wir müssen aufpassen, dass die Social-Media-Aktivitäten von Kulturinstitutionen nicht als kleines Beiprogramm gesehen werden. Das Web 2.0 ist nicht einfach ein weiteres Medium welches man bedient, um z.B. für die eigene Institution zu werben. Gerade für die Kulturvermittlung ist das Web 2.0 eine Welt voller Möglichkeiten, in die dann aber investiert werden muss. Das Web 2.0 will und muss aktiv gestaltet werden. Ich habe vor ein paar Wochen in einem Blogbeitrag eine Idee für die möglichen nächsten Schritte auf einer globaleren Ebene veröffentlicht.
Ich glaube es wäre aus Sicht der Dramaturgie besser gewesen, wenn zuerst Sebastian Hartmann und dann Ulrike Schmid gesprochen hätten. Man hätte dann zuerst einen Einblick in die Praxis eines Museums und dann in die so wichtige Studie bekommen. Und dann hätten wir auch über viele weitere wichtige Fragen diskutieren können. Drei Beispiele:
- Inwieweit werden in den Kulturinstitutionen Blogs und Wikis für die interne Kommunikation genutzt? Dies kann helfen, ein besseres Verständnis des Thema bei allen Mitarbeitern zu entwickeln.
Inwieweit werden für die nächsten Jahre stetig steigende Mittel für das Thema Social-Media eingeplant?
Welchen Stellenwert hat Social Media innerhalb der Institution? Ist Social-Media eine Funktion des Marketing bzw. der PR oder ist es Teil der Museumsarbeit also der Kulturvermittlung?
Warum stelle ich solche Fragen? Meiner Meinung nach ist es wichtig, das moderne Internet in all seinen Facetten nicht als Medium sondern eher als Querschnittsfunktion für alle Aktivitäten einer Kulturinstitution zu sehen. Es geht nicht darum „ein bisschen PR“ oder „ein bisschen Marketing“ zu machen. Das moderne Internet wird zudem auf kurz oder lang in die Institutionen hineinwirken. Es verändert unsere Kommunikation und auf Dauer unsere Denk- und Arbeitsweisen. Wenn eine Kulturinstitution eine Facebookseite oder einen Twitteraccount erstellt hat dann ist das eine richtig tolle Sache – noch immer sind diese Institutionen in der Minderheit. Aber es wird in der Zukunft darum gehen, langfristige und nachhaltige Konzepte zu entwickeln und zu realisieren. Hierfür müssen wir z.B. analysieren ob die Kultur der jeweiligen Institution überhaupt mit der Kultur des modernen Internets kompatibel ist. Museen sollten z.B. in Zukunft schon bei der Entwicklung von Ausstellungen und weiteren Aktivitäten die Einbeziehung des modernen Internets als Teil der Kulturvermittlung überlegen. Das moderne Internet wird so nicht zu einer Kommunikationsplattform, sondern zu einer stetigen Erweiterung der jeweiligen Institution.
Übrigens: am zweiten Tag bekam ich dann noch endlich meine geliebte Scholle „Finkenwerder Art“
Beste Grüße
Christoph Deeg
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