Das Mittwochs-Thema: digital-soziale Medien oder das menschliche Internet

LiebeLeser*innen,

es ist Mittwoch und damit Zeit für ein neues Mittwochs-Thema. Zugegebenermaßen habe ich mich etwas schwergetan mit der Auswahl. Erst fielen mir überhaupt keine Themen ein und dann waren es plötzlich ganz viele Themen, über die ich schreiben möchte. Dazu gehörte zum Beispiel die Frage, wie viel Partizipation in Transformationsprozessen relevant ist, wie man eigentlich Priorisierung in Transformationsprozessen denken kann, welche Konzepte und Ideen uns zur Verfügung stehen, wenn es darum geht, Orte zu schaffen, an denen Menschen gerne arbeiten und sich weiter entwickeln, oder die Frage, wie man damit umgeht, dass Menschen Organisationen verlassen beziehungsweise neue Menschen in die Organisation kommen.

All dies sind wichtige und relevante Themen und in den nächsten Wochen habe ich also einiges zu tun.  Aber kurz bevor ich eine finale Auswahl treffen konnte, las ich einen kurzen Beitrag des Fernsehsenders 3sat auf Instagram. Ich habe euch einen Screenshot des Beitrages beigefügt. Es geht um die Erfindung der Emoticons oder Emojis. Ich beschäftige mich mit diesem Thema schon seit vielen Jahren: wie machen wir aus dem Internet einen (noch) menschlicheren Ort.

Ihr kennt ja meine Grundthese, dass das Internet menschlich ist, dass wir als Menschen gemeinsam dieses Internet gestalten. Es hat unglaublich wenig mit Technologien und unglaublich viel mit menschlichen Verhalten, Wünschen und Bedürfnissen zu tun. 

Instagram-Post von 3Sat zur Geschichte des Emoticons mit Hinweis auf eine Doku - Klick auf das Bild führt auf die Seite zur dazugehörigen Doku auf 3sat.de
Screenshot des heutigen Instagram-Posts – Klick auf das Bild verlinkt auf die Seite der dazugehörigen Doku von 3sat.de

Das bedeutet nicht, dass alles im digitalen Raum immer wunderbar funktioniert. Wir Menschen sind fehlbar, und so ist auch das Internet, der digitale Raum und alles was wir damit machen fehlbar. Trotzdem ist es sehr interessant zu sehen, wie wir immer wieder versuchen, digitale Technologien an unsere Bedürfnisse anzupassen. Vor vielen Jahren gab es einen Drumcomputer der Firma Roland mit dem Namen „Human Rhythm Composer“ – wir werden also zu „Human Digital-Space-Composern“?

Bei den Emoticons könnte man sagen, wir haben Wege gefunden, unsere Informationen mit anzureichern. Ich kann ohne weiteres schreiben: „meine Blogbeiträge zu erstellen, ist das Größte für mich.“ Ihr könnt das lesen, aber ihr wisst nicht, ob das ernst gemeint ist oder beispielsweise zynisch. Das ist auch etwas, was Algorithmen und künstliche Intelligenz bis heute nicht wirklich analysieren können: wie ehrlich sind bestimmte Beiträge eigentlich gemeint? In welchem Kontext existieren sie? Und wie sind Sie dann zu bewerten? 

Durch die Idee, einen „:“ ein „–“ und „eine geschlossene Klammer“)“ zu nutzen, um ein lachendes Gesicht darzustellen, konnte der klassischen Textinformation eine weitere Information zur emotionalen Kontextualisierung beigefügt werden. Man könnte auch sagen, dieser Schritt war der erste Versuch, sozial-digitale Medien zu erzeugen. 

Aber woran liegt das? Warum hatten wir das Bedürfnis, Informationen mit sozialen beziehungsweise menschlichen Emotionen zu verbinden? Wenn ich Bücher lese, erwarte ich nicht, dass mir kontinuierlich mit Emojis vermittelt wird, wie das eigentlich gemeint ist. Im Gegenteil: ich hätte keine Lust mehr Haruki Murakami zu lesen, wenn dort die ganze Zeit Emojis auftauchen würden. Menschen reagieren mitunter sehr ablehnend wenn Schrift/Sprache verändert werden soll.

Der Punkt ist der: wenn wir Bücher lesen, geht es nicht darum, dass wir in Interaktion miteinander treten. Ich interagiere nicht mit einem Buch. Ein Buch mag etwas in mir auslösen, aber es ist keine direkte Interaktion mit dem Buch möglich (Nein: Flecken, Knicke und handgeschriebenes ist nicht als Interaktion zu definieren, denn das Buch an sich antwortet nicht).

Bei der Interaktion mit Menschen und Maschinen, die gerne Menschen sein wollen oder darstellen sollen im digitalen Raum, geht es darum, einen ursprünglich analogen Prozess, nämlich den des Gesprächs, in ein digitales Format zu übertragen. Und hier kommen wieder meine drei Ebenen digitaler Prozesse ins Spiel: es gibt digitale Prozesse, bei denen wir einen analogen Prozess in das Digitale übertragen, und dabei die Logik und Modelle des analogen Prozesses beibehalten oder auch beibehalten wollen. Und dann gibt es Prozesse, bei denen wir ebenfalls einen analogen Prozess in ein digitales Format übertragen, wir aber versuchen, die Möglichkeiten des digitalen Optionsraums zu nutzen. Und dann gibt es die Prozesse, die ohne einen analogen Vorgänger ausschließlich in Digitalen entwickelt werden.

Im vorliegenden Beispiel haben wir ein gutes Beispiel: wenn ich in einer Mail eine Person mit Informationen versorge, dann wird diese Person diese Mail auf irgendeinem Bildschirm lesen.  Dabei hat diese weder die Möglichkeit, aus meiner Gestik und Mimik zu lesen, noch kann sie durch meinen Tonfall  darauf schließen (die Person liest einen Text und hört nicht meine Stimme), wie die Information eigentlich gemeint ist.

Wenn ich also keine Gestik und Mimik, keine Tonlage oder Ähnliches mit übertragen kann, dann macht die Nutzung von Emojis durchaus Sinn, denn ich kann damit auf effiziente Art und Weise eine Übersetzung von Emotionen erzeugen. Man könnte auch sagen, erst durch Emojis kann ich einen kompletten Mehrwert durch das Digitale erzeugen. Nunmehr ist es nicht nur möglich, über große Entfernung miteinander zu kommunizieren, ich kann auch die aus dem Analogen so wichtigen Emotionen übertragen. Das funktioniert niemals perfekt und ersetzt auch kein reales Treffen: viel zu oft erleben wir, dass ein Treffen im analogen, physischen Raum wichtig ist, weil wir uns nur so als Menschen erleben und spüren können. Die Emojis sind demnach also kein gleichwertiger Ersatz, aber sie schaffen einen anderen Optionsraum. Zudem funktionieren sie nur dann wirklich gut, wenn man sich auf ihre Nutzung geeinigt hat und sich gegenseitig vertraut.

Emojis als Kulturtechniken und als Kulturgut

In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass wir Menschen natürlich gerne dazu übergehen, aus solchen Optionen neue Kulturmodelle und Kulturgüter zu entwickeln. Heute gibt es unglaublich viele unterschiedliche Emojis und verschiedene Kulturräume haben eigene Emojis entwickelt. Und dass das durchaus einen Rückkopplungeffekt in das Analoge haben kann, können wir in Südkorea sehen:

Wie ihr wisst, durfte ich Südkorea und Japan schon des Öfteren besuchen und in der Region auch arbeiten. In Südkorea existiert ein eigener Messenger. Die meisten Südkoreaner nutzen nicht etwa WhatsApp, sondern KakaoTalk. KakaoTalk ist ein ganz eigenes System mit sehr vielen spannenden Optionen. Allein über die Frage, wie man in Südkorea Messenger nutzt, könnte ich seitenweise Beiträge schreiben, aber hier möchte ich auf einen ganz bestimmten Punkt hinweisen: auch bei KakaoTalk gibt es Emojis. Das interessante ist, dass aus diesen Emojis eigene Figuren wurden. Und aus diesen Figuren wurde wiederum ein eigener Geschäftsbereich: Willkommen in der Welt der Kakao-Friends


Der Unterschied zwischen Emoticons und Emojis

Emoticons sind kleine Kombinationen aus Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen, die bestimmte Emotionen/Informationen vermitteln sollen. Emojis sind kleine Bilder (z.B. das berühmte gelbe Smiley) die ebenfalls Zusatzinformationen vermitteln, aber zusätzlich eigene Kontexte schaffen können. So können Emojis kulturelle Bindungen erzeugen.


Es gibt ein riesiges und stetig wachsendes Angebot an Artikeln und Geschichten rund um diese Emojis und an verschiedenen Orten findet man auch die dazu passenden Kaufhäuser, in denen ich eine Vielzahl von unterschiedlichen Artikeln kaufen kann, die alle etwas diesen Emojis zu tun haben. Hier ist also ein neuer kultureller Optionsraum entstanden.

Eigentlich ist das ohne weiteres nachvollziehbar: wenn wir ein digitales Element haben, welches uns auf der emotionalen Ebene in unserem Leben begleitet, ist die Chance sehr groß, dass wir daraus mehr machen. Es besteht ein Kontext zu unserer Lebensrealität. Und so wie Elemente aus dem Analogen ins Digitale springen können, findet dies auch umgekehrt statt. 

Was können wir davon lernen?

Menschen sind soziale Wesen. Uns ist durchaus bewusst, wo die Chancen und Grenzen des Digitalen liegen. Und eine der großen Beschränkungen ist die Tatsache, dass wir im digitalen Defizite erleben, wenn es um menschliche Interaktion geht. Dabei ist es unerheblich, ob es nur um Text geht oder auch um Videokonferenzen. Es reicht in Videokonferenzen offensichtlich nicht aus, den anderen Menschen zu sehen. Wir brauchen den gemeinsamen Bezug im physischen Raum, dann können wir Vertrauen aufbauen und eine engere Bindung erstellen. (Das ist nebenbei bemerkt einer der Gründe, warum ich es bevorzuge, in meinem Projekten immer auch Treffen im realen Raum zu haben) 

Wir Menschen sind soziale Wesen, und wir nutzen digitale Medien, um uns miteinander zu vernetzen. Möchten wir eine Vernetzung erzeugen, funktioniert das nicht nur durch Texte oder sachliche Informationen. Wir benötigen eine emotionale Kontextualisierung. Und wann immer es möglich ist, nutzen wir die Möglichkeiten des digitalen Raums, um diese weitergehenden emotionalen Informationen zu vermitteln. Ich würde soweit gehen, dass die Emotionalisierung von Inhalten Kontexte erschafft, die die Menschen überhaupt erst umfassend motiviert, in die Interaktion miteinander zu treten.

Es kann also nicht darum gehen, Emotionen zu negieren, viel mehr muss versucht werden, einen geschützten Raum zu schaffen, indem diese Emotionen möglich sind.  Und wann immer wir es schaffen, mit solchen Werkzeugen, neue Formen der Interaktion und Kommunikation zu erzeugen, können daraus komplett neue Kulturmodelle entstehen. Anders ausgedrückt: KakaoFriends sind nichts anderes als gelebter digital-analoger Lebens- und Kulturraum.

Ich kann Allen nur empfehlen, in den eigenen Prozessen und Interaktionen darüber nachzudenken, ob das ganze Spektrum menschlicher Interaktion abgedeckt wird und wo Defizite den Erfolg der digitalen Angebote verhindern. Das bedeutet nicht, dass im Digitalen zwanghaft alles emotionalisiert muss. Es bedeutet nicht, dass man überall Emojis oder Ähnliches anwenden muss. Aber es sollte klar sein, wo diese Defizite existieren, damit man nicht von falschen Erwartungshaltungen ausgeht.

Ich würde mich freuen, wenn ihr hier in den Kommentaren über Eure Erfahrungen mit Emojis aber auch mit sozialer Interaktion im digitalen Raum berichten würdet. Vielleicht finden wir ja weitere spannende Beispiele und gerne auch Anknüpfungspunkte für eine weitere Diskussion.

Beste Grüße

Christoph Deeg

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