In meinem letzten Beitrag habe ich einen allgemeinen Einblick in die Gedankenwelt zur Entwicklung des Haus des Wissens in Bochum gegeben. Ich darf hier zusammen mit anderen Institutionen und Projektpartnern eine Vision für einen digital-analogen Bildungs- und Kulturort entwickeln und umsetzen. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, wie man die Idee einer kontinuierlichen Transformation in einem digital-analogen Ort wiederfinden bzw. an einem solchen Ort übersetzen kann.
Grundsätzlich ist es wichtig, zuerst die verschiedenen Ebenen von Transformation in einem digital-analogen Ort zu verstehen bzw. zu definieren. Eine Ebene ist der Raum beziehungsweise der Ort an sich. Alle Ressourcen in diesem Raum müssen so gestaltet werden, dass sie immer wieder an neue Herausforderungen angepasst werden können.
Die nächste Ebene ist die Frage der Wirkung digitaler Inhalte und Technologien in einen Raum. Die digitalen Technologien in einem physischen Raum erweitern dessen Optionsraum massiv. Am ehesten wahrnehmbar ist dieser Effekt, wenn wir mit Projektionsflächen arbeiten, wenn wir z.B. digitale Inhalte in den Raum projizieren. Jede Projektion verändert den Raum. Und je mehr Projektionsflächen im Raum vorhanden sind, desto größer ist die transformative Wirkung, die zudem situativ stattfindet. Es findet also an sich eine kontinuierliche Transformation allein schon durch unterschiedliche Inhalte statt.
Die nächste Ebene ist die Interaktion der Menschen mit den digitalen Inhalten. Geht es darum, die Inhalte zu konsumieren, zum Beispiel anzusehen und anzuhören? Gibt es Interaktionsmöglichkeiten? Und wenn es Interaktionsmöglichkeiten gibt, wie sehen diese aus? Findet Interaktion über Sprache oder über Eingabegeräte wie eine Tastatur oder gar mit dem ganzen Körper statt? Ist es eine aktive Interaktion im Sinne einer bewussten Handlung oder sind es Sensoren, die zum Beispiel die Temperatur und den Stressfaktor eines Körpers messen? Bewegen sich die Menschen im Raum? Alle diese Elemente sorgen dafür dass immer wieder neue Optionen entstehen.
Die nächste Ebene ist der hybride Ansatz. Wenn wir Räume haben, in denen Veranstaltungen wie zum Beispiel Workshops oder Seminare stattfinden, und dabei auch Menschen im digitalen Raum teilnehmen bzw. Inhalte aus dem analogen Raum in den digitalen Raum übertragen werden, dann hat dies ebenfalls eine Auswirkung auf den jeweiligen Raum. In diesem Fall muss man die Räume der Menschen im digitalen Raum mitdenken. Dabei geht es zum einen um Funktionen und Ressourcen. Man benötigt hochauflösende Kameras, die die jeweiligen Personen im physischen Raum verfolgen können. Man benötigt sehr gute Mikrofone um die Personen im Raum orten zu können. Man benötigt auch spezielle Lautsprecher und viele weitere technische Ressourcen, damit man den Raum möglichst komplex in den digitalen Raum übertragen kann. Man muss aber auch überlegen wie die einzelnen Personen aus dem digitalen Raum im analogen Raum wahrgenommen werden. Sind es abgetrennte Projektionflächen? Sind es große Flächen die beispielsweise durch große LCD-Wände oder aber durch Beamer realisiert werden? Oder versucht man gar alle Wände als Projektionsflächen zu nutzen um nicht mehr einen einzigen Platz zu haben, an dem Menschen aus dem digitalen Raum sichtbar werden und wahrgenommen werden. Arbeitet man zu dem mit Datenbrillen oder VR-Brillen? Sollen zukünftig gegebenenfalls 3-D Projektionen im Raum möglich sein?
Dies alles mag sehr technisch klingen, aber in meiner Arbeit geht es nicht um die technische Umsetzung, sondern um die Frage, welche Funktionen sich daraus ergeben und wie diese Funktionen übersetzt werden können. Welche Funktionen ermöglichen Technologien und welche Funktionen sollen durch Technologien umgesetzt werden?
Die nächste Ebene ist der digitale Raum an sich. Wenn wir über hybride Ansätze reden, dann haben wir die Situation, dass ein physischer Raum an einem definierten Ort zum Beispiel im Haus des Wissens existiert, der wiederum eine gedankliche und technologische Schnittstelle in das Digitale hat, durch die Menschen entweder individuell oder als Gruppe zugeschaltet werden können. Es geht aber auch um die Frage des digitalen Standorts des Haus des Wissens. Dabei handelt es sich um dreidimensionale oder zweidimensionale Räume. Somit gehören auch Accounts auf Instagram oder digitale Zwillinge zum Optionsraum des Haus des Wissens. Für alle diese Räume müssen nicht nur die individuellen Funktionen, sondern auch die Wechselwirkungen untereinander berücksichtigt werden.
Alle diese Ebenen sollen Transformation ermöglichen und unterstützen und ebenso selbst transformiert werden können.
Wie bereits erwähnt, geht es nicht darum einfach nur möglichst viele Technologien zu verbauen. Es geht darum, sich zu überlegen, was Digitalisierung beziehungsweise Digitalitätin diesem Kontext bedeuten. Wie kann man dafür sorgen dass alle diese Ebenen in die Lage versetzt werden, sich kontinuierlich weiter zu entwickeln also für einen umfangreichen Transformationsprozess zu stehen? Und was bedeutet es, wenn wir eine oder sogar viele Elemente herausnehmen? Was passiert beispielsweise mit einem Raum, in dem alle digitalen Ressourcen ausgeschaltet sind? Wie wirkt dieser Raum dann? Wie kann er als vollwertiger Raum wahrgenommen werden?
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich , und das wird auch in der Zukunft nicht möglich sein, final zu definieren, welche Funktionen in den jeweiligen Räumen umgesetzt werden. Man kann aber dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen entwickelt werden, die eine möglich umfassende und zugleich nachhaltige Transformation ermöglichen und einfordern.
So können wir uns überlegen, wie in all diesen einzelnen Ebenen die Funktion der Interaktion umgesetzt werden kann. Dabei konzentriert man sich zuerst auf die Formate und Herangehensweisen im Bereich Interaktion. Erst dann überlegt man sich, wie eine technologische Umsetzung aussehen könnte, die es ermöglicht, viele Formen von Interaktion (digital, analog und hybrid) zu realisieren. So entstehen umfassende Funktionsbeschreibungen, die nicht nur die Aktivitäten und Ressourcen auf den einzelnen Flächen definieren, sondern die es auch ermöglichen, diese Daten zu nutzen, um sie als Basis für eine umfangreiche digital-analoge Gesamtstrategie für das Haus des Wissens zu nutzen.
Mit diesem Prozess verbunden ist die Frage, wie Formate und Herangehensweisen im Haus des Wissens bezüglich Workshops, Seminaren und allen weiteren Aktivitäten ebenfalls transformativ gestaltet werden können. Dabei ist es wichtig darauf zu achten, dass man den Optionsraum möglichst weit definiert. Diese Aufgabe ist nicht einfach, denn wir müssen immer wieder überlegen, welche Funktion und Umsetzung dieser Funktionen im Haus möglich sein könnten, auch wenn wir sie zum jetzigen Zeitpunkt eher nicht nutzen wollten bzw. wir zum jetzigen Zeitpunkt keine oder nur geringe Mehrwerte darin sehen oder sogar unserer Meinung nach die Risiken überwiegen.
Die zweite große Herausforderung ist, diesen ganzen Prozess nicht von den Ressourcen, sondern von den Funktionen aus zu denken. Es müssen also immer wieder Varianten von Umsetzungen geschaffen werden. Durch die immens große Anzahl an definierten Funktionen und Inhalten wird es auch schwieriger, die Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte aller Einzelprozesse zu überblicken. Deshalb wird versucht, die einzelnen Funktionen und Formate zu clustern.
Neben der individuellen Definition von Räumen, Funktionen, Ressourcen und Formaten können aber auch allgemein gültige Modelle für das Haus definiert werden. Das wichtigste ist die Idee des multioptionalen Erfahrungsraums. Die Idee dahinter ist die, dass jede Ressource, jede Fläche, jeder Raum im Haus des Wissens möglichst viele unterschiedliche Nutzungsoptionen bietet. So stellt sich die Frage, wie man Regale für Medien – z.B. Bücher – so gestalten kann, dass sie weitere Nutzungsoptionen ermöglichen, wobei die Umsetzung parallel zur eigentlichen Aufgabe stattfinden soll. Wie können wir Menschen, die keine Medien ausleihen möchten und deshalb die Regale nicht nutzen würden, dazu, mit den Regalen und ihren Inhalten zu interagieren bzw. auch diese Flächen zu nutzen? Eine Idee ist, in den Regalen digital-analoge Interventionen zu installieren, die es ermöglichen, nicht nur weitergehende Inhalte bzw. Informationen zu bestimmten Themen zu bekommen, sondern sich auf ganz andere Art und Weise mit bestimmten Themen aus dem Bereich Bildung und Kultur auseinander zu setzen.
Das alles mag wie Science-Fiction klingen. Und in der Tat: die Visionen und Ideen die dabei entstehen sind sehr weit entfernt von dem was wir heute an vergleichbaren Orten wiederfinden können. Aber diese Funktionen sind keine Gadgets, kein digitales Feuerwerk. Sie ermöglichen einen digital-analogen Erfahrungsraum, basieren auf der gedanklichen Weiterentwicklung dessen, was wir heute in der Anwendung von Digitalisierung im Kontext von Kultur und Bildung bereits sehen.
Es gibt einige Parameter und Faktoren die dazu führen, dass diese Vision immer weiter verändert oder auch realisierbar gemacht wird. Gleichwohl ermöglicht diese sehr breit aufgestellte Vision, dass man immer wieder überlegt, wohin sich dieses Haus entwickeln könnte, und was das Ganze dann bedeuten kann bzw. was wir jetzt tun müssen, damit diese ganzen Optionen in der Zukunft möglich wären.
Damit man mich nicht falsch versteht: mir ist bewusst, dass diese Beschreibungen sehr stark nach technologiebasierte Erfahrungswelt aussehen aber dem ist nicht so. Transformation findet nicht nur bei der kleinen Gruppe derer statt, die eine hohe digitale Affinität aufweisen und gerne jegliche Form von digitalen Werkzeugen nutzen möchten. Transformation kann auch bedeuten, dass jemand die ersten Schritte im Digitalen geht. Transformation kann auch bedeuten, dass Menschen ihre eigene Lebenssituation durch die Anwendung von digital-analogen Werkzeugen verbessern können.
In diesem Beitrag habe ich mich bis jetzt auf die Transformation von Räumen und Flächen und Ressourcen konzentriert. Aber auch die Menschen, die im Haus des Wissens arbeiten, werden sich intensiv mit dem Thema Transformation auseinandersetzen müssen. Überall im Haus entstehen Trigger-Punkte und Schnittstellen, bei denen neue Inhalte entstehen können, die wiederum einen Einfluss auf die Arbeit der Menschen im Haus haben. Immer mehr Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen unserer Gesellschaft können und sollen dieses Haus besuchen und aktiv nutzen. Deshalb muss die Technologie, deshalb müssen alle anderen Funktionen, deshalb muss die Idee eines digital-analogen Erfahrungsraums so gestaltet werden, dass sie einfach zu nutzen ist. Einfachheit bedeutet Zugang. Und so kann ein solcher Ort dazu beitragen, die Komplexität unseres Lebens zu übersetzen, erfahrbar und damit gestaltbar zu machen.
In meinem nächsten Beitrag werde ich verschiedene Modelle und Herangehensweise vorstellen, die helfen können, digital-analoge Erfahrungsräume besser zu verstehen bzw. zu definieren. Es ist allerdings so, dass es keinen Standardweg gibt. Jeder Raum, jede Institution, jeder Prozess muss immer wieder neu und individuell entwickelt oder weiterentwickelt werden. Gerade die Tatsache, dass wir in solchen Projekten den Fokus nicht auf Technologien, sondern auf Menschen und ihre digital-analogen Lebensrealitäten legen, bedeutet, dass eine Vielzahl an Fragestellungen beachtet werden müssen. Die Modelle sind deshalb auch nicht als dogmatische Ansätze sondern vielmehr als Hilfestellungen für neue Inspirationen und Ideen zu verstehen.
Bei der Beschäftigung mit diesen Blogbeiträgen ist mir klar geworden, dass ich mehr Beiträge schreiben muss als ich ursprünglich dachte. Weitere Fragestellungen sind:
- Nach welchen Modellen kann man auf Basis dieses Prozesses digitale-analoge Gesamtstrategien entwickeln?
- Welches Mindset bzw. welche Denk- und Handlungsweisen sind nötig, um so einen Ort mit Leben zu füllen?
- Wie sieht eine Vision für neue Kultur- und Bildungsorte aus auf Basis der Idee digital-analoger Lebensrealitäten aus?
- Was können andere Bereiche z.B. Unternehmen von diesen Ansätzen lernen?
Zu allen diesen Fragestellungen werde ich ebenfalls Beiträge veröffentlichen. Wenn bei der Lektüre meiner Beiträge Fragen aufkommen, kann mich immer gerne kontaktieren entweder über die Kommentarfunktion via Mail: c.deeg@christoph-deeg.com
Herzliche Grüße
Christoph Deeg