Liebe Leser,
ich bin gerade in Frankfurt/Main angekommen. Gestern war ich in Bern für einen Workshop zu digital-analogen Bibliotheksstrategien für Bibliotheken in der Schweiz. Und morgen geht es dann auf den Bibliothekartag. Diese Konferenz findet dieses Jahr in Frankfurt/Main statt und ich bin sehr gespannt, was mich dieses mal dort erwartet. In den Feldern in denen ich mich bewege gibt es ein paar spannende Sessions. Ansonsten nutze ich die Zeit für Gespräche und Diskussionen. Und es wird mit Sicherheit viele Diskussionen geben, denn die Bibliotheken befinden sich inmitten eines komplexen Veränderungsprozesses. Zum Teil bin ich selber Teil dieses Prozesses, denn ich berate und begleite Bibliotheken bei der Entwicklung digital-analoger Bibliotheksstrategien und der strategischen Nutzung von Gaming und Gamification. In den letzten Jahren habe ich mit über 100 Bibliotheken zusammengearbeitet, größtenteils in Deutschland, aber auch in Österreich, der Schweiz, China, Mexiko etc. Ich kenne also sehr viele Bibliotheken und bin ebenso mit den jeweiligen Herausforderungen im Kontext dieser Transformationsprozesse sehr gut vertraut. Auf Basis dieser Erkenntnisse schreibe ich diesen Beitrag.
Transformationsprozesse und Bibliotheksstrategien
Im Kontext der digitalen Transformation unserer Gesellschaft werden auch Bibliotheken verändert und natürlich auch in Frage gestellt. Die Frage, ob man Bibliotheken igentlich noch braucht, mag ketzerisch wirken und viele Bibliotheken möchten diese Diskussion eigentlich nicht mehr führen. Aber auch wenn man diese Diskussion – aus Sicht der Bibliotheken – gefühlt schon zu oft geführt haben mag, es ist wichtig darauf eine sinnvolle und passende Antwort zu finden. Denn viele Personengruppen, die diese Frage formulieren haben direkt oder indirekt Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft der Bibliotheken. Da sind zum einen die Träger, die sich selbst in eben jenen Transformationsprozessen wiederfinden und in vielen Fällen bis heute keinen strategischen Ansatz für die Bewältigung dieses Prozesses gefunden haben. Da sind zum anderen die Nutzer bzw. Nichtnutzer, wobei gerade das Wissen vor allem über die zweite Gruppe in den Bibliotheken noch immer sehr gering ist.
Zudem gibt es eine unangenehme Schnittmenge bei diesen Gruppen, nämlich dann wenn die Träger selber keine Bibliotheksnutzer sind, und damit weder die aktuelle Situation in den Bibliotheken noch die damit verbundenen Optionen verstehen können. So bleibt es sehr oft bei den bekannten Floskeln wie z.B. „Bibliotheksmitarbeiter sind Informations- und Medienexperten“ oder „Bibliotheken führen durch den digital-analogen Informations-Dschungel“. Beide Aussagen mögen darstellen, was man gerne wäre, aber sie zeigen u.U. nicht, was Bibliotheken in der Breite sind.
Um es vorweg zu nehmen: Ja, ich bin der Meinung, dass wir Bibliotheken brauchen. Aber ich glaube auch, dass der Prozess der digitalen Transformationen in Bibliotheken noch sehr lange dauern wird. Ich denke zudem, dass die Frage, ob man denn Bibliotheken überhaupt noch braucht, falsch gestellt wird. Denn viel wichtiger wäre die Frage, welche Bibliotheken brauchen wir?
Nun kann ich die grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Bibliotheken sehr gut verstehen. Der Wandel unserer Gesellschaft nimmt langsam Geschwindigkeit auf. Dabei waren viele der jetzt aktuellen Prozesse seit einigen Jahren absehbar. Sei es Jeremy Rifkin in seinem Werk „Access – das Verschwinden des Eigentums“ oder auch „The Cluetrain Manifesto“ von Rick Levine und weiteren Autoren, beide Bücher beschrieben mehr als nur Facetten der jetzigen Veränderungen, und es wäre mehr als wünschenswert, wenn diese Werke zu Standartwerken in die Ausbildung von Bibliotheksmitarbeitern werden würden. Man könnte auch sagen: eine bibliothekarische Ausbildung in Zeiten der Digitalisierung macht ohne die Lektüre dieser beiden Werke keinen Sinn. Wobei mir klar ist, dass es noch weitere diesbezügliche Inhalte, in Form von Büchern, Blogbeiträgen und Vortragsvideos auf Youtube gäbe, die ebenfalls unbedingt studiert und diskutiert werden sollten – bevor man mit irgendwelchen digitalen Aktivitäten beginnt.
Man kann den digitalen Wandel im Kontext der Bibliotheksarbeit an vielen Punkten festmachen. Ich möchte dies an zwei Kernthemen tun, die beide etwas mit dem Bestand einer Bibliothek zu tun haben:
Die Bibliothek in meinem Wohnzimmer
Kurz vor Weihnachten 2016 bekam ich eine meiner vielen Amazon-Lieferungen. In diesem Paket versteckte sich ein unscheinbares Gerät, welches einem Puck beim Eishockey ähnelte. Es verfügt nur über wenig Knöpfe und zudem über einen Stromanschluss und einen Audio-Ausgang zum Anschluss an einen aktiven Lautsprecher oder einen Verstärker. Die Rede ist von Amazons „Alexa“. Alexa (die genaue Bezeichnung für mein System ist „Echo Dot“) ist vieles in einem Gerät. Assistent, Mediencenter, Medienberater, Kommunikationshilfe etc. Sie steuert meine Musiksammlung, hilft mir beim Shoppen, liest mir vor, welche Termine in meinem Google-Calendar stehen und kann sogar die Heizung und das Licht steuern. Wenige Tage später buchte ich die Option „Music Unlimited“ hinzu. Damit habe ich kontinuierlichen Zugriff auf 40.000.000 Song. Das sind nochmal 10.000.000 Song mehr als mir Spotify anbieten würde. Ich kann diese Song live streamen und zugleich auf mein Smartphone laden und sie dort auch offline hören. Die Idee eines Jeremy Rifkin, dass wir auf eine Gesellschaft zusteuern, in der es weniger um Eigentum und mehr um Zugang geht, scheint Wirklichkeit zu werden. Aber damit nicht genug: Amazon baut auch das eigene Videoangebot aus. Längst sind Netflix und Amazon mit ihren Eigenproduktionen zu mächtigen Konkurrenten klassischer Studios und Produktionsfirmen geworden. Besonders faszinierend bei Alexa ist aber, wie schnell das System lernt bzw. wie schnell es weiterentwickelt wird. Um zu verstehen, was Alexa sein soll muss man das System nur fragen, woher sein Name kommt. Dann erfährt man, dass sich der Name auf die berühmte Bibliothek in Alexandria bezieht. Ist also Amazon das größte digitale Bibliotheksnetzwerk? Immerhin möchte Amazon in Kürze auch ein Netz von analogen Buchhandlungen aufbauen (dieser Prozess hat schon begonnen). Wenn sich also diese kleine schwarze Scheibe in meiner Wohnung in der Tradition der Bibliotheken sieht, was ist dann eigentlich eine Bibliothek? Klar ist, das Verleihen von Medien ist kein Alleinstellungsmerkmal von Bibliotheken.
Gute und schlechte Nachrichten
Es gibt viele solcher Beispiele, und wenn wir die aktuelle Situation positiv bewerten wollen, dann können wir sagen: Die Bibliotheken haben gewonnen. Ihr Geschäftsmodell des Verleihens von Medien hat sich durchgesetzt. Die schlechte Nachricht ist: die Bibliotheken verfügen nicht über die Inhalte und nicht über die Ressourcen von Konzernen wie Amazon oder Google und so werden sie es schwer haben, hier ein konkurrenzfähiges Angebot zu entwickeln. Und bis jetzt haben Bibliotheken auch noch keinen Weg gefunden, wirkliche Partner von Medienkonzernen, Verlagen etc. zu werden. Es entstehen vielmehr immer wieder teils tiefgreifende Konflikte.
Der Medienraum – unendliche Weiten
Das zweite Thema befasst sich mit dem Bestand an sich. Unabhängig davon, dass anscheinend einige physische Medien wie CD’s, DVD’s oder auch Games früher oder später verschwinden und dann nur noch als Streaming-, Download- oder Online-Angeboten existieren werden, was übrigens auch einen Impact auf die zukünftigen Raumplanungen von Bibliotheken haben (sollte), existieren für Bibliotheken letztlich drei Bestandskategorien. Da ist zum einen der analoge Bestand, der nach dem Verschwinden von CD’s, DVD’s und Co. wohl im Kern weiter aus gedruckten Büchern bestehen wird.
Buchmagie und Buchkultur
In diesem Zusammenhang finde ich es sehr spannend, dass das Buch eine ungeahnte Aufwertung erfährt, welche aber nicht – wie sehr oft behauptet – eine Gegenreaktion zum Digitalen darstellt. Die Aufwertung basiert letztlich auf der Befreiung des Buches durch den digitalen Raum. Im Kontext digital-analoger Lebensrealitäten kann jeder Mensch sich frei für ein individuelles Medienportfolio entscheiden. Die Buchkultur inkl. ihrer Identitäts-stiftenden Funktion in manchen Gesellschaftsbereichen erlebt also eine Metamorphose inkl. der vielen Buch-LiebhaberInnen, die ihre Liebe und Faszination für das Medium Buch intensiv und andauernd auf Plattformen wie Instagram teilen.
Digitaler Bestand?
Nach dem analogen Bestand kommt der digitale Bestand, bei dem die Bibliothek einen exklusiven Zugang bieten kann. Dazu gehören Datenbanken oder auch Angebote wie die Onleihe, das im Moment am meisten verbreitete Angebot zum Verleih von eBooks und anderen eMedien. Beide Bereiche, die öffentlichen und die wissenschaftlichen Bibliotheken haben hier vielfältige Angebote, wenn auch nicht alle Angebote erfolgreich sind. Zudem werden manche Angebote nur extrinsisch genutzt, etwa wenn ein Lehrer in einer Schule noch immer die Wikipedia nicht als eine mögliche Quelle anerkennt und die Schüler somit zur Nutzung bestimmter Datenbanken gezwungen werden, auch wenn diese u.U. den Funktionen und der Kultur dieser digital-affinen Generation nicht entsprechen. Nebenbei bemerkt ist eine Analyse des Bestandes hinsichtlich der extrinsischen und intrinsischen Nutzung eine von vielen hilfreichen Analysemethoden im Kontext digital-analoger Bibliotheksstrategien. Sie wird nur zu selten angewandt.
Die dritte Kategorie besteht aus den digitalen Angeboten, die frei zugänglich sind und zu denen die Bibliothek somit keinen exklusiven Zugang bieten kann. Hier geht es also um eine kontextbezogene Serviceorientierung die in Teilen völlig neue Kompetenzen auf Seiten der Bibliotheksmitarbeiter erfordert. Gerade in dieser dritten Kategorie haben Bibliotheken in der Breite noch keinen Weg gefunden, diese Medien in die tägliche Arbeit zu integrieren. Dies führt dazu, dass Bibliotheken nur eingeschränkt mit der digital-analogen Lebensrealität großer Gesellschaftsbereiche kompatibel sind. Dies mag sich nicht unbedingt und sofort auf die Nutzungsstatistiken auswirken. Wenn ich vor einigen Jahren ein Buch, eine CD und eine DVD auslieh, deckte die Bibliothek damit nahezu alle Medienoptionen ab. Wenn ich heute die gleichen Medien ausleihe, ist der Anteil der Bibliothek an den möglichen Medien jedoch weitaus geringer. In der Bibliotheksstatistik sehe ich keine Veränderungen. Dafür müsste man den Anteil des Medienangebots an der medialen Lebensrealität eines Querschnitts unserer Gesellschaft messen.
Bibliotheken auf digitaler Segeltour in prä-digitalen Holzbooten
Ich denke diese beiden Beispiele zeigen sehr gut, warum der digitale Transformationsprozess in Bibliotheken erst jetzt wirklich spürbar wird. In diesem Beitrag geht es mir nicht darum, die Bibliotheken zu kritisieren. Denn sie haben in der Tat in den letzten Jahren einiges erreicht. Die Erfolge der Bibliotheken sind umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sie dies komplett in einem Umfeld bzw. unter Rahmenbedienungen erreicht haben, die komplett aus der prä-digitalen Ära unserer Gesellschaft stammen. Und hier liegt das eigentliche Problem: obwohl wir nahezu täglich auf die umfassenden und tiefgreifenden Veränderungen im Kontext der digitalen Transformation hingewiesen werden, hat sich das Umfeld von Bibliotheken kaum bewegt. Noch immer haben sehr viele Bibliotheken keinen freien Internetzugang, von einer zukunftsfähigen Bandbreite oder gar einer professionellen digitalen Infrastruktur ganz zu schweigen. Sie dürfen sich zudem nur äußerst selten im digitalen Raum frei bewegen. Die Aus- und Weiterbildung bereitet m.E. nicht ausreichend auf die kommenden Aufgaben vor. Noch immer werden die weitaus meisten Stellen ausschließlich für Menschen ausgeschrieben, die einen bibliothekarischen Berufsabschluss vorweisen können, unabhängig davon, ob die jeweiligen Aufgaben dies wirklich erfordern. Die Stellenbeschreibungen werden zu langsam angepasst und wer möchte heute einem jungen Menschen empfehlen, eine Karriere als FAMI anzustreben, bei der miserablen Bezahlung und den teilweise antiquierten Rahmenbedienungen? An eine private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit ist gar nicht zu denken – was die Nutzung von Facebook und Co. eigentlich unmöglich macht. (Dies sind nur ein paar Beispiele um die Ausgangslage zu beschreiben. Ich werde diese Thematik in einem der folgenden Beiträge vertiefen und die Konsequenzen für Unternehmen und den Kultur- und Bildungssektor beschreiben). Um es kurz zu machen: solange das Umfeld der Bibliotheken ein Relikt aus der prä-digitalen Ära bleibt, so lange die Rahmenbedienungen keine Kompatibilität mit der digital-analogen Lebensrealität großer Teile unserer Gesellschaft aufweisen, so lange können sich Bibliotheken auch nur in sehr kleinen Schritten bewegen. Und dies hat einen Einfluss auf unsere Gesellschaft. In der Diskussion um Fake News etc. spielen Bibliotheken zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine Rolle – aber was sind dann Medien- und Informationsexperten?
Wenn wie also fragen, ob wir Bibliotheken noch brauchen, dann müssen wir zuerst fragen, welche Bibliotheken wir wollen und was wir bereit sind dafür zu geben. Damit man mich nicht falsch versteht, mir geht es nicht um eine Technologienutzung um der Technologie willen. Die Bibliothek der Zukunft ist keine Technikabteilung und ein guter Makerspace funktioniert auch ohne 3D-Drucker. Die Zukunft der Bibliotheken besteht nicht darin, möglichst viele aktuelle Technologien vorzuhalten. Das wäre wenig innovativ und es wäre ein Wettbewerb, den die Bibliotheken nie gewinnen könnten. Schauen wir uns nur manche digitalen Bibliothekskataloge und Datenbanken an. Noch vor einigen Jahren ging es in vielen Diskussionen darum, unbedingt einen „Google-Schlitz“ zu haben. Die Theorie war folgende: wenn die Oberfläche eines Katalogs oder einer Datenbank wie eine Google-Suche aussehen würde, dann wären die Angebote der Bibliotheken viel erfolgreicher. Das Problem ist: es geht bei der Google-Suche nicht um die Frage der Eingabe, sondern um das System dahinter. Und so muss bei vielen Bibliothekskatalogen und Datenbanken noch immer der exakte und richtig geschriebene Name des Autors angegeben werden, ansonsten kann das System keine Einträge finden, während Google, Amazon und Co. Vorschläge machen, was vielleicht gemeint sei – und dabei verblüffend oft richtigliegen.
Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Bibliotheken sehr wohl in der Lage sind, innovative Produkte auch im digitalen Raum zu entwickeln. Im Moment wird überall über die Nutzung von Chatbots diskutiert. Auch manche Bibliotheken beschäftigen sich mit dem Thema. Leider wird sehr oft vergessen, dass es z.B. mit Stella, einem Projekt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg schon vor vielen Jahren ein Chatbot entwickelt wurde. Die Geschichte von Stella weckt Erinnerungen an vergleichbare Geschichten wie die der mp3. Dieses Dateiformat ermöglichte die Komprimierung von Musikdateien und machte die heute digitale Musikvermittlung und -vermarktung erst möglich. Das Format wurde nicht von der Musikindustrie entwickelt und es waren Unternehmen aus dem angelsächsischen Raum, die daraus Geschäftsmodelle entwickelten und realisierten. Im Kontext digitaler Transformationsprozesse in Bibliotheken muss m.E. auch an der Fähigkeit, Produkte nach der Entwicklung auch professionell zu vermarkten, gearbeitet werden. Kultur und Bildung mit kommerziellen Ansätzen und Kompetenzen zu verbinden hat in unseren Breitengraden leider sehr selten funktioniert. Sehr schnell wird auf den nicht-kommerziellen Ansatz der Bibliotheken verwiesen. Dabei bewegen sich Bibliotheken konsequent in kommerziellen Systemen und zudem geht es ja nicht darum, Bibliotheken zu Shopping-Centern umzugestalten. Es geht vielmehr darum, die besonderen kulturellen und funktionalen Aspekte dieser Ansätze zu verstehen und in die eigene Arbeit zu implementieren.
Wenn also der Technologieeinsatz nicht das Alleinstellungsmerkmal der Bibliotheken ist. Wenn das Verleihen von Medien zu einem umfassenden Geschäftsmodell der Medienindustrie wird. Wenn Bibliotheken die Masse an Informationen nicht mehr überblicken und so auch keine Auswahl treffen können, was ist dann eine Bibliothek?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Bibliotheken werden weiterhin Medien ausleihen, sie werden weiterhin Technologien einsetzen und sie werden weiterhin nach Informationen recherchieren und diese ihren Kunden anbieten. Viel wichtiger wird aber die Fähigkeit sein, Kontexte zu erstellen. Deshalb bedeutet Bibliotheksarbeit in der Zukunft für mich auch das Erschaffen kontextbezogener Erfahrungsräume, die an die Lebensrealität der Nutzer angepasst werden oder aber diese verändern. Aus diesem Ansatz lassen sich dann sehr viele Zielsetzungen, Aufgaben und Tätigkeiten ableiten. Und es befreit die Bibliotheken vom Zwang, dem klassischen Bild einer Bibliothek zu entsprechen. Was dann aus den Bibliotheken wird, ist endlich wieder offen…
Beste Grüße
Christoph Deeg
Lieber Christoph!
Ich halte Deine Analyse in großen Zügen für richtig, z.B. dass sich die Medienvielfalt in den Bibliotheken in relativ naher Zukunft reduzieren wird. Allerdings ist bei solchen Prognosen immer etwas Vorsicht geboten. Das lineare Fernsehen wurde schon x-mal totgesagt, aber ist immer noch das dominante Unterhaltungsmedium. Die Streamingdienste sind im Kommen, aber noch ist nicht ausgemacht, ob sie tatsächlich eines Tages den Markt beherrschen. Der Problerm liegt vielleicht gerade in dem Umfang des Angebotes. Mensch braucht eigentlich keine Auswahl aus 40 Mill Titeln.
Den Pferdefuß Deiner Analyse sehe ich woanders. Ich habe in langen Jahren gelernt, Abstraktionen und einfachen Formeln zu misstrauen. Eine solche ist für mich die „digitale Transformation“. Was ist das eigentlich? Wo merken und wie merken wir die?
Ist das überhaupt ein umfassender Prozess? Oder nicht eher eine Entwicklung, die ganz viele und sogar widersprüchliche Seiten hat? An der ganz unterschiedliche Akteure mit gegensätzlichen Interessenlagen beteilgt sind.
Als Infojunkies oder Webaktivisten gehören wir selbst zu einer eher kleinen Minderheit, was unsere Perspektive noch einmal einschränkt.
Konkret: wenn ich heute durch meine alte Bibliothek in Nürnberg gehe (am Wochenende bin ich wieder da), an der ich bis 1990 gearbeitet habe, dann sehe ich wenig Unterschiede trotz RFID und einem m.E. fantasielosem Neubau. Es ist immer noch das übliche Publikum. Der Medienmix mag etwas anders sein, aber sonst… Das gleiche Bild in Köln – die es übrigens nicht einmal schaffen, ein funktionierendes Cafe zu halten. Die gleichen „alten Männer“ sitzen in der Q-Thek und lesen Zeitung. Das Veranstaltungsangebot ist hipper, aber das ist eher eine draufgesetzte Neon-Fassade. Schaut man in den Betrieb selbst, wird da gearbeitet wie eh und je, trotz QM & Controlling. Eine dieser bizarren Routinen in der Bibliothekswelt ist z.B. der Papier-ID, der einfach nicht tot zu kriegen ist. Du beschreibst ja auch die prädigitale Arbeitswelt. Was sich sicher geändert hat, ist eine größere Kunden- und Zielgruppenorientierung, was aber nicht heißt, dass man sich etwa in Nbg von der DK verabschieden würde. Ich will damit sagen, unsere Debatte würde das normale Bibliothekspublikum wohl sehr befremden. Und das scheint ja eine Generation später auch nicht viel anders zu sein. Und e-Books sind ja bekanntlich überhaupt kein Jugendmedium….
Wo ist hier der Zwang zu einer „digitalen Transformation“, außer WLAN, damit die Leute mal eben ihre WhatApps checken können?
Ich würde gerne wissen, was das konkret sein soll:
„Deshalb bedeutet Bibliotheksarbeit in der Zukunft für mich auch das Erschaffen kontextbezogener Erfahrungsräume, die an die Lebensrealität der Nutzer angepasst werden oder aber diese verändern.“
Noch viel Spaß in FFM
Jochen