Liebe Leser,
in wenigen Stunden beginnt in Nürnberg der 104. Bibliothekartag. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um ein paar grundsätzliche Überlegungen anzustellen bzw. zukunftsweisende Forderungen zu stellen. Deshalb möchte ich folgenden Vorschlag machen:
Ab sofort dürfen Bibliotheken für ihre Bestandsarbeit im Bereich Buch nur auf eine kleine Auswahl an Büchern zugreifen. Ein Zugriff auf alle erhältlichen Bücher macht keinen Sinn. Längst gibt es Anbieter von „Standing Orders“, das sind automatisierte Buchlieferungen, die von verschiedenen Anbietern zentral zusammengestellt werden. Die immer noch in vielen Bibliotheken vorhandenen Lektorate können somit eingespart werden. Ebenso sollte in die Fortbildung in diesem Themenbereich kein Geld fließen. Wenn wir den Zugang zu Büchern für die Bibliotheken beschränken, können wir auch verhindern, dass Bücher in den Bibliotheken angeboten werden, die nur wenig mit Bildung oder Kultur zu tun haben. Um dies zu erreichen kann man vorab die Verlage/Anbieter definieren, bei denen Bibliotheken überhaupt Zugang zur Autoren- und Bestelllisten etc. haben. Möchten Bibliotheksmitarbeiter auf weitere Anbieter zugreifen, müssen sie dafür einen Antrag stellen. Darin sollte eine nachvollziehbare Begründung zu finden sein, warum man Zugang zu den jeweiligen Anbietern haben möchte.
Aber das Beschneiden des Zugangs und der Abbau der Fortbildungen allein reicht nicht aus. Ebenso ist es wichtig dafür zu sorgen, dass Bibliotheksmitarbeiter in der Bibliothek keine Bücher mehr lesen bzw. keinen Zugang zu den Büchern an sich haben. Es stellt sich nämlich die Frage, ob nicht viele Bibliotheksmitarbeiter ihre Vorliebe für Bücher in der Bibliothek ausleben, indem sie privat in der Bibliothek während der Arbeitszeit lesen. Da die „Standing Orders“ ein Lektorat überflüssig machen, ist der Zugang zu den Büchern der Bibliothek während der Arbeitszeit für Bibliotheksmitarbeiter nicht notwendig. Und um Bücher in ein Regal zu stellen, braucht man nicht zu wissen, was in den Büchern drin steht.
Ok – Diese Forderung ist natürlich totaler Blödsinn!
Niemand würde auf die Idee kommen, Bibliotheken den Zugang zu Büchern zu verbieten. Es würde auch niemand vorschlagen, dass Bibliotheksmitarbeiter in Zukunft während der Arbeitszeit kein Buch mehr in die Hand nehmen dürfen. Was soll dann aber dieser Vorschlag?
Es ist schon ein paar Monate her, dass ich mich in einem Beitrag grundsätzlich mit der Zukunft der Bibliotheken aus Sicht der fortschreitenden Digitalisierung beschäftigt habe. Und in den letzten Jahren habe ich – neben Unternehmen und Kulturinstitutionen – eine große Zahl an Bibliotheken in die digitale Welt begleitet. D.h. ich habe einen guten Überblick über die Situation in vielen Bibliotheken und ein großes Problem für viele Bibliotheken ist, dass sie bis heute keinen freien Internetzugang haben. Man mag es kaum glauben, aber in vielen Bibliotheken ist sogar der Zugang auf Plattformen wie YouTube, Facebook oder der Zugriff auf Blogs zu Themen wie Gaming gesperrt.
Wie gesagt, die Forderung, für Bibliotheken den Zugang zu Büchern zu beschränken ist Blödsinn, aber es ist genau das, was vielerorts im digitalen Raum passiert. Durch die Digitalisierung unserer Gesellschaft stehen Bibliotheken vor tiefgreifenden Veränderungen. Jede Aufgabe, jeder Bereich der Bibliothekswelt verändert sich. Aber wenn Bibliotheken einen wesentlichen Anteil an der Realisierung einer digital-analogen Gesellschaft haben sollen, wenn sie die Menschen beim Prozess des lebenslangen Lernens begleiten sollen, wenn sie mehr sind als Buchverleihmaschinen, wenn sie Lern- und Kulturorte sein sollen, dann ist der komplett freie Zugang zum Internet unabdingbar. Und dazu gehört auch die Erlaubnis, das Internet während der Arbeitszeit privat nutzen zu dürfen. Ansonsten ist weder die Bearbeitung einer bibliothekseigenen Facebookseite noch ein erfolgreiches Recherchieren im Internet möglich.
Bibliotheken können in der Zukunft den Zugang zu Wissen ermöglichen. Sie können uns helfen, besser zu werden, wo immer wir auch gerne besser werden möchten. Sie können einzigartige Lern- und Kulturorte sein. Aber all das ist nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und der freie Zugang zur digitalen Welt ist hier ein wichtiger Baustein…
Beste Grüße
Christoph Deeg
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