Liebe Leser,
wir leben in verrückten Zeiten. Die digitale Welt entwickelt sich und wenn wir uns selber und unser Umfeld beobachten, erleben wir wie wenig digital unsere Gesellschaft bis heute geworden ist. Damit meine ich nicht nur die erschreckend schlechte Digitale Infrastruktur oder die Unfähigkeit eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung unserer Gesellschaft zu entwickeln und zu realisieren. Mir geht es in diesem Beitrag um neue Denk- und Arbeitsweisen bzw. um eine neue Kultur. Zwei Dinge fallen mir immer wieder auf.
Da ist zum Einen die Arroganz und Ignoranz vieler Experten und Netzaktivisten. Immer wieder hat man das Gefühl es gäbe hier eine kleine Elite, die losgelöst vom Rest der Welt die digitale Deutungshoheit für sich beansprucht. Als vor ein paar Tagen unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel das Internet bzw. die digitale Welt als „Neuland“ bezeichnete war die Aufregung groß. Es brach ein regelrechter Shitstorm aus. Man tat so, als wäre diese Aussage ein Beleg für die Inkompetenz von Politikern im allgemeinen und von Frau Merkel im Speziellen. Nun bin ich weder ein Fan unserer Bundeskanzlerin noch bestreite ich, das die bundesdeutsche Politik große Schwierigkeiten hat, das Thema „Digitale Gesellschaft“ zu verstehen oder gar zu gestalten. Ich kann aber nicht umhin festzustellen, das die Definition „Neuland“ für einen Großteil der Bevölkerung immer noch gilt. Ok, wenn wir definieren, dass jeder der bei Facebook ist auch alles über die digitale Welt weiß, dann ist es in der Tat kein Neuland mehr. Wenn ich aber sehe wie wenig viele Menschen in meinen Workshops über digitale Medien wissen, wenn ich sehe wie gering das Verständnis vieler Unternehmen und Institutionen bezüglich der digitalen Welt ist, wenn ich erlebe, dass wir bis heute keine Vision für eine digital-analoge Gesellschaft haben, wenn ich sehe, wie viele tolle kreative Menschen für ihre Institution oder ihr Unternehmen etwas in der digitalen Welt bewegen möchten und doch an den Strukturen und Denkweisen in der analogen Welt scheitern, dann würde ich sagen es ist wirklich und noch immer Neuland.
Da ist zum Anderen eine etwas problematische Sichtweise gegenüber Lebensrealitäten. Ein oft gehörtes Argument gegen die digitale Welt ist die Zeitverschwendung. Die Idee dahinter ist die, dass viele Menschen anscheinend im Netz nur sinnlose Inhalte austauschen. Katzenvideos, Chats, Communitys etc. dies alles ist so herrlich ineffizient. Hinter dieser Kritik steckt eine extreme Fokussierung auf bzw. der Wunsch nach effizienten Arbeitsabläufen. Gleichzeitig wünscht man sich sehr oft, mehr Zeit zu haben. Viele Menschen haben das Gefühl, sie wären dauergestresst. Sie wünschen sich mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Raum um Mensch zu sein. Manchmal steht dann die digitale Welt für den Stress und den Druck. Ich kann das alles gut verstehen aber ich sehe hier ein Paradoxon. Die Generation der Eltern deren Kinder heute zur Schule oder zur Uni gehen, ist die, die zugelassen hat, dass die Lern- und Arbeitswelt Ihrer Kinder einem Effizienz-Wahn unterliegt. Die Kids sollen immer schneller lernen. Schule und Studium gleichen einem Marathon. Man soll lernen und nicht reifen. Man soll effizient sein und keine Fehler machen. Effizienz ist alles. Was aber ist so schlimm daran wenn mal ein bisschen abhängt? Was ist so schlimm daran, wenn man mit seinen Freunden via Chat kommuniziert? Was ist so schlimm daran, das man sich Katzenvideos ansieht? Sind denn Volksmusik, Quiz-Shows etc. besser als Katzenvideos? Reicht es nicht, dass man das Lernen und Arbeiten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kontrolliert und in ein starres Korsett presst? Muss jetzt auch noch das Freizeitverhalten der jungen Generation verändert und reglementiert werden? Und ist diese Elterngeneration wirklich so erfolgreich? Ist es nicht die Burn-Out-Generation, die Generation in der beinahe jede zweite Ehe scheitert, die Generation, der Geld und Konsum wichtiger ist als der Schutz unserer Umwelt? Und diese Generation möchte ihren Kindern vorschreiben, wie sie moderne Kommunikation- und Medientechnologien nutzen sollen – obwohl diese Elterngeneration in der Breite diese Technologien noch nicht einmal versteht?
So gesehen können wir meiner Meinung nach nur hoffen, dass unsere Kinder weiterhin Katzenvideos teilen und Spiele spielen, dass sie sich das Recht rausnehmen Zeit online zu verschwenden. Dass sie chatten und posten was das Zeug hält. Und unserer Generation bleibt zu wünschen, von unseren Kindern zu lernen. Nicht nur wie man Facebook bedient, sondern auch wie man Spass damit hat.
Beste Grüße Christoph Deeg
Update: ich habe diesen Beitrag auf meinem Smartphone geschrieben. Daraus resultieren ein paar kleine Fehler. Ich habe die Fehler nachträglich behoben….
Angie sagte, das Internet sei für uns alle Neuland. Genau das führte zu den sehr witzigen und originellen Reaktionen im Netz. Hätte sie gesagt, das Internet sei für viele Menschen immer noch Neuland, wäre gar nichts passiert.
Hi Gunnar,
dass Frau Merkel so tut als wäre das Internet Neuland für alle Menschen ist mit Sicherheit ein Problem. Manchmal denke ich, vielleicht ist es sogar für alle Menschen immer wieder Neuland, weil es sich dauernd verändert und weil wir dauernd mit neuen Herausforderungen wie z.B. Prism konfrontiert werden. Ich stelle nur fest, dass es keinen „digitalen Mittelstand“ gibt, d.h. es gibt die Nerds und Aktivisten die das Netz für sich beanspruchen und es gibt die Normalsterblichen die einfach nur ein bisschen bei Facebook und Co. sind. Die digitale Boheme hat ihre gesellschaftliche Verantwortung noch nicht begriffen und das muss schnellsten passieren.
Ganz liebe Grüße
Christoph