Bericht über meine Asienreise zum Thema Gaming – Teil 3: Süd-Korea

Liebe Leser,
heute möchte ich über den letzten Teil meiner Asienreise zum Thema Gaming berichten: Für alle Erstbesucher meines Blogs hier ein paar Informationen zur Reise:

Vom 26.02. bis zum 11.03.2013 war ich in Ost-Asien, genauer gesagt in China, Japan und Süd-Korea auf Einladung des Goethe-Instituts unterwegs. Ziel dieser Forschungsreise war eine erste Analyse der Gaming-Kultur in diesen Ländern. Es ging vor allem um die Frage, welchen Einfluss und Stellenwert Gaming für die jeweilige Gesellschaft hat und was man daraus resultierend lernen kann In diesem Beitrag geht es nun um Süd-Korea.

In Seoul konnte ich sowohl sehr viele spannende Interviews führen als auch interessante und bedeutende Orte der Gaming-Kultur besuchen. Während eines ersten Treffens mit verschiedenen Vertretern der koreanischen Gaming-Kultur konnte ich einige weitere Interviewtermine vereinbaren. (Nochmals vielen Dank an Dr. Volker vom Goethe-Institut!!!) Mein erstes Meeting fand mit Vertretern der „Korean Creative Content Agency“ (KOCCAT) statt. Diese Regierungsorganisation beschäftigt sich mit der Förderung und Entwicklung der Kreativwirtschaft in Korea. Meine Interviewpartner waren Herr Hyuck-Su Kwak, Herr Il Kim und Herr Joong-hyun Lee.

Während unseres Gespräches ging es vor allem um folgende Fragen: 1. Inwieweit gibt es einen Einfluss der Gaming-Kultur auf die Gesellschaft Koreas 2. Inwieweit wird Gaming in der Zukunft auch in anderen Bereichen wie der Bildung (stärker) genutzt werden.3. Inwieweit Gaming als Kulturgut in der Gesamtbevölkerung akzeptiert ist. Es war ein langes Gespräch und ich wurde u.a. darin bestätigt, dass Gaming einen wichtigen Anteil an der Digitalisierung der koreanischen Gesellschaft hat. Das Interesse der koreanischen Gaming-Industrie an einer weiteren Expansion ist sehr groß. Gleichwohl war aber den Vertretern der KOCCAT klar, dass sich die Welt des Gamings gerade ändert. Der Bildungssektor scheint bis zum jetzigen Zeitpunkt nur in geringem Maße einen Kontakt zu Gaming zu haben. Dies liegt u.a. daran, dass der Bereich Bildung in Korea sehr konservativ aufgestellt ist. Bis jetzt gibt es z.B. Spiele, mit denen man chinesische Schriftzeichen lernen kann. Gleichwohl wird es in diesem Bereich neue Projekte geben.

Das nächste Treffen fand dann mit Peter Lee statt. Peter Lee hat u.a. in den USA im Bereich Gaming gearbeitet und er berichtete mir von vielen spannenden Erfahrungen, die er nun nach Korea tragen möchte. In diesem Zusammenhang ging es auch um eine Zusammenarbeit mit der weltweit bekannten Autorin und Games-Designerin Jane McGonigal. Basierend auf dieser Zeit in den USA arbeitet Peter Lee heute in einem Bereich der sich am ehesten mit Alternate Reality Games beschreiben lässt. Dabei handelt es sich nicht um Computerspiele. Vielmehr werden die Modelle und die Struktur des Gamings in die reale Welt übertragen. Peter Lee entwickelt also keine Spiele, die auf Computern oder Konsolen gespielt werden. Seine Spiele finden in der Realität statt. [youtube http://www.youtube.com/watch?v=wSls4xzt-ok&w=560&h=315]Mit ihnen können Menschen bestimmte Erfahrungen wie z.B. Teambuilding oder Kulturveränderung machen oder aber kulturelle oder andere Inhalte lernen.

Mein nächster Gesprächspartner war Herr Jeonghwan Lee. Herr Lee ist Journalist, Gamer und ehemaliger PC-Bang-Besitzer. Mit ihm hatte ich ein sehr langes Gespräch über alle Facetten der koreanischen Gaming-Kultur. Zudem konnte ich durch ihn als Zuschauer an einem eSports-Finale teilnehmen. Herr Lee erklärte mir u.a. Die Bedeutung bestimmter Spiele, die Auswirkungen auf die koreanische Gesellschaft, aktuelle Problemstellungen, eSports und vieles weitere mehr. Es war ein Interview von über 2 Stunden und ich habe durch dieses Gespräch z.B. einiges über die Situation in den koreanischen Schulen erfahren. Hier entsteht ein Paradoxon. Viele Eltern möchten nicht, dass Ihre Kinder Computerspiele spielen. Dabei geht es nicht um eine Ablehnung der digitalen Welt – wie sehr oft in Deutschland – sondern vielmehr um die Sorge, dass die Kindern daraus resultierend weniger lernen. In Korea bedeutet Schule vor allem Lernen-Prüfung-Lernen-Prüfung etc. Es handelt sich um ein sehr konservatives Bildungssystem. Die Schüler befinden sich in einem stetigen Konkurrenzkampf und das Ziel ist, möglichst schnell Karriere zu machen. Da stört Gaming nur. Nun ist es aber so, dass Gaming ein elementarer Bestandteil der koreanischen Alltagskultur ist. Das geht soweit, dass die Schüler, die keine Spiele spielen in der Klasse sozial isoliert sind. Die Spiele die in Korea besonders erfolgreich sind solche bei denen es um Konkurrenz zwischen den Spielern geht. Ein sehr erfolgreiches Spiel ist z.B. Maple Story Bei diesem Spiele spielen die Schüler gegeneinander. Man kann aber nur gegen Spieler antreten, die das gleiche Level haben. Also müssen die Schüler einer Klasse möglichst alle im gleichen Level sein.

Da sich die Charaktere kontinuierlich weiter entwickeln, muss man also andauernd spielen. Da die Kinder aber lernen und nicht spielen sollen, die Nichtteilnahme am Spiel aber in die Isolation im Klassenverband führen kann, was noch einen größeren negativen Impact auf das Lernen hätte, spielen die Eltern für die Kinder und entwickeln deren Charaktere bzw. Spielfiguren weiter. Und dies passiert obwohl die Eltern eigentlich nicht vom Gaming überzeugt sind.

Im Anschluss an dieses Interview traf ich Simon Lim. Er ist CEO des koreanischen Gaming-Magazins thisgame.com. Simon Lim kennt sich ebenfalls sehr gut in der koreanischen Spielkultur aus. Er ist zudem sehr an einem Vergleich zwischen der deutschen und der koreanischen Gaming-Kultur interessiert. Wir sprachen u.a. über Gaming als soziale Funktion. Laut Simon Lee gibt es in Korea keine vergleichbaren öffentlich-soziale Orte wie z.B. Sportplätze oder Bibliotheken. Die meisten Orte haben eine klare Funktion aber keinen offenen sozialen Charakter. Mit dem Aufkommen der PC-Bangs (Internetcafes, welches Teil der landesweiten Digitalisierungskampagne der Regierung waren) entstanden nicht nur Orte mit Zugang zum Internet sondern auch soziale Orte. Gaming wurde also auch deshalb ein elementarer Bestandteil der Alltagskultur, weil es der Inhalt der sozialen Orte wurde.

Zum letzten Meeting durfte ich gleich drei Interviewpartner begrüßen: Frau Hyemi Park von Disney-Interactive Korea, Herrn Kim Jong Ik welcher u.a. für das Unternehmen Smilegate arbeite und Herrn Gwangha Eun, Senior Researcher, Game Design Center an der Kong Ju National University. Durch dieses Meeting war es mir möglich mehr über die Gaming-Industrie und die Veränderungen im Nutzungsverhalten der Gamer zu erfahren. Dies betraf auch und vor allem die Veränderungen, welche sich durch mobile Devices wie z.B. Smartphones ergeben. Gaming wird mobil und die koreanische Gamesindustrie steht deshalb wieder einmal vor einem tiefgreifenden Wandel.

Gaming in Süd-Korea
Gaming in Süd-Korea ist mehr als nur ein Kulturphänomen. Es gibt kaum ein Land in dem Gaming eine derartig große und zugleich unterschiedliche Bedeutung hat wie Süd-Korea. Mit Sicherheit ist der Bereich eSports eine Besonderheit. Schon alleine die Beobachtung von eSports ist interessant. Immerhin handelt es sich hier um eine Form des Breitensports, die wir in Deutschland so nicht kennen. Die Spieler werden zu Superstars, nicht nur angebetet von anderen Gamern sondern selbst von weiblichen Fans, die die Spiele gar nicht spielen. eSports ist für Korea von sehr großer Bedeutung.

Jedoch hat Gaming auch für die Digitalisierung der Gesellschaft eine große Bedeutung. Es begann in den 90er Jahren. Die damalige koreanische Regierung suchte nach einer Perspektive für die junge Generation. Man glaubte, dass der Bereich der Kommunikations- und Medientechnologien ein erfolgversprechendes Thema sein könnte. Hierfür wurde ein landesweites Programm aufgelegt. Das Ziel war, die Digitalisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Es ging dabei weniger darum die Inhalte als vielmehr die Rahmenbedienungen zu schaffen. Aus diesem Grund wurde ein milliardenschweres Förderprogramm aufgelegt. Jeder koreanische Haushalt sollte sobald wie möglich über einen einen eigenen Breitband-Internetanschluss verfügen. Zeitgleich wurde mit dem Aufbau von tausenden von Internetcafes begonnen. Diese Internetcafes wurden aber nicht nur zum genutzt, um im Internet zu arbeiten. Sie waren auch der Ort des Spielens. 1998 veröffentlichte dann das US-amerikanische Unternehmen Blizzard-Entertainment das Strategiespiel „Starcraft“. Dieses Spiel hatte in sehr kurzer eine riesige Fangemeinde in Korea. Besonders erfolgreich war dabei der Multiplayer-Modus, bei dem man nicht gegen den Computer sondern gegen einen echten Menschen spielt. Die Aufgabe des Spielers ist es, das Lager des jeweils anderes Spielers zu erobern. Hierfür müssen zuerst die passenden Einheiten produziert und dann mit der Eroberung des gegnerischen Lagers begonnen werden. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zur Gaming-Kultur in Japan oder China. Koreanische Spieler suchen den Wettbewerb. Ihnen sind Hintergrundgeschichten oder das Entdecken neuer Welten nicht so wichtig. Japanische und chinesische Spieler wiederum finden Gefallen an besonderen Visualisierungen. Dies bedeutet, dass auch die Identifikation mit dem Game eine andere ist. Es geht nicht um den Inhalt des Spiels sondern um den Wettbewerb bzw. um einen Star-Kult um die jeweils aktuell erfolgreichen Spieler.

Der für mich spannendste Aspekt ist aber ein anderer: Als die koreanische Regierung feststellte, dass immer mehr junge Koreaner mit dem Spielen dieser Spiele begangen, traf sie eine folgenschwere Entscheidung. Sie begann mit der Förderung dieses Sektors. Die Idee war einfach und doch genial. Wenn Gaming das Thema sei, dass tausende von Menschen dazu bringt, sich mit Computern und anderen Kommunikations- und Medientechnologien auseinander zu setzen, dann sollte man es intensiv fördern. Diese Herangehensweise steht in einem krassen Gegensatz zur aktuellen Politik in Deutschland bzw. Europa. Aber es ist nicht nur die Politik, die hier eklatante Unterschiede aufweist. Auch die Unternehmen sind in diesen Prozess involviert. Samsung, LG etc. sie alle haben eigene und zudem sehr erfolgreiche eSports-Teams. Diese Vermischung zwischen Unternehmen und Populärkultur bzw. Breitensport ist nicht neu. Auch beim Baseball waren und sind die koreanischen Unternehmen mit eigenen Teams vertreten. Und es sind die gleichen Unternehmen, die auch beim Ausbau der digitalen Infrastruktur des gesamten Landes beteiligt waren.

Ein nächster Schritt wird nun die Implementierung des Themas in die Kultur- und Wissensvermittlung sein. Wie bereits erwähnt ist beispielsweise das koreanische Schulsystem sehr konservativ. Gleichwohl hat man erste Versuche gestartet, Gaming in den Lehrbetrieb aufzunehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt beschränkt sich dies noch auf Spiele, die helfen sollen, chinesische Schriftzeichen zu erlernen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich dies dann ändert, wenn daraus ein nationales Ziel wird.

Danksagungen und mein persönlicher Ausblick:
Zuerst möchte ich mich beim Goethe-Institut für die Möglichkeit bedanken, diese Forschungsreise durchführen zu können. Ein ebenso besonderer Dank gebührt Herrn John Park vom Research Lab, Nexon Computer Museum, NXCL. Durch seine Kontakte konnte ich eine Vielzahl an interessanten Gesprächen durchführen. Ich sitze immer noch an der Auswertung der riesigen Datenmengen und in zunehmenden Maße kommen neue Kontakte und Inhalte hinzu. Wenn alles gut geht, war dies nicht meine letzte Reise in diese einzigartige Region und zu diesen einzigartigen Menschen – und Köchen. Vielmehr hoffe ich, dass dies der Anfang einer längeren Zeit mit Projekten in Asien sein wird. In den nächsten Monaten werde ich noch öfter über das Thema schreiben. Auf der diesjährigen Re:Publica habe ich auch einen Vortrag dazu gehalten. Ihr findet die Folien und den Audiomitschnitt im folgenden.

Beste Grüße

Christoph Deeg

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