Liebe Leser,
das Internet verändert unsere Welt. Sicher, die Veränderungen finden nicht so schnell statt wie wir es erwartet haben und das hat sehr viele verschiedene Gründe. Aber niemand wird noch ernsthaft leugnen wollen, dass die Welt vor 15 Jahren oder sogar vor 8 Jahren noch anders aussah.
Nun gibt es schon seit längerem den von Marc Prensky entwickelten Begriff des „Digital Native“. Damit sind die Menschen gemeint, die mit den „Digitalen Technologien“ also dem Internet, Computerspielen, eBooks etc. aufgewachsen sind. Für sie soll die Nutzung der verschiedenen Angebote etwas völlig normales sein. Digital Native kann man nicht werden ,indem man z.B. bestimmte Dinge lernt. Man ist es automatisch aufgrund seines Alters (Geburtsjahr bis 1980) oder man ist es eben nicht.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich schlichtweg zu alt bin, um ein Digital Native zu sein. Ich bin aufgewachsen in einer Welt ohne Internet. Meine ersten Schritte im Internet machte ich mit AOL. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mir Facebook immer mehr wie ein AOL 2.0 vorkommt. Sicher, mit Computerspielen hatte ich sehr früh zu tun. Erst war es eine Atari-Konsole und dann der Nintendo NES. Ich hatte auch einen C64 und später einen Atari 1024ST aber das reicht nicht, um ein Digital Native zu sein. Also gut, muss man sich eben damit abfinden:-) Ich habe mir in den letzten Wochen ein paar Gedanken über Digital Natives gemacht. Und nach reiflichen Überlegungen muss ich sagen: Ich bin froh, dass ich kein Digital Native bin. Ich möchte kurz und in Stichpunkten beschreiben warum:
Digital Natives werden in der Aus- und Weiterbildung nicht ernst genommen. Gerade mal 15% der deutschen Schüler nutzen den Computer täglich im Unterricht. (Quelle: Bitkom) D.h. obwohl sie Digital Natives genannt werden, können bzw. dürfen sie diese Fähigkeiten nicht im Unterricht anwenden.
Während Digital Natives also im Unterricht nur selten den Computer nutzen (zumeist wird er dann zur Erstellung einer Präsentation oder einer Internetrecherche genutzt) sind sie aber zu über 90% in Sozialen Netzwerken wie Facebook und Co. aktiv. Das heißt ihr Potential wird zumeist nur im privaten Umfeld angewendet. Zudem wird diese Nutzung in die Spass-Ecke abgeschoben, obwohl sie auf diesen Plattformen nicht nur die Technologien des Web 2.0 sondern auch die damit verbundene Kultur erleben.
Digital Natives wird der Zugang zum Internet verwehrt. Nein, ich meine damit nicht, dass sie an sich nicht ins Internet dürfen. Aber gerade in Deutschland, als einer der reichsten Industrienationen der Welt ist Internetzugang sehr oft nicht möglich. Wer mit dem Zug reist oder auf dem Land wohnt hat es schwer. Noch immer gibt es zu wenige Orte, bei denen man kostenloses WLAN bekommt. Starbucks ist zu einem Ort des Zugangs zum Internet geworden. In Städten wie Vilnius ist es hingegen völlig normal, überall freies WLAN zu haben. Um diesen Beitrag posten zu können, muss ich in meinem Hotel für eine Stunde 7.- € für einen WLAN-Zugang mit begrenztem Datenvolumen bezahlen.
Digital Natives sollen das „digitale Problem“ lösen – aber nicht mitreden. In vielen Institutionen und Unternehmen sind es Azubis, Berufseinsteiger oder Praktikanten, die sich um die Social-Media-Aktivitäten kümmern. Sie sollen diesen Bereich abdecken, bekommen aber sehr oft nicht den dazugehörigen Support und ihre Arbeit wird auch immer wieder nicht als gleichberechtigter Geschäftsbereich angesehen.
Digital Natives werden auf Technik reduziert. Das spannende am Web 2.0 und der Welt der Computerspiele ist aber die damit verbundene Kultur. Durch das Internet entstehen neue, verändern sich und verschwinden vorhandene Berufsbilder.
Digital Natives werden in dieser neuen (Arbeits-) Welt leben (müssen) werden aber darauf nicht vorbereitet. Verschulung, Standardisierung und Verkürzung der Ausbildungszeiten lassen wenig Raum für Innovationen, neue Ideen und Kreativität.
Kulturinstitutionen haben zumeist kein Angebot für Digital Natives. Obwohl die Digital Natives vorhanden und eine völlig neue Zielgruppe mit tollen Möglichkeiten für neue Kulturvermittlungs-Konzepte sind, gibt es in der Breite zu wenig Angebote. Von einem Dialog auf Augenhöhe oder der Anerkennung von Kulturformen wie dem Gaming ganz zu schweigen.
Dies sind nur ein paar Punkte, die mir auffallen, aber mir ist klar geworden, dass die Tatsache ein Digital Native zu sein überhaupt nichts bringt. Im Gegenteil, unsere Gesellschaft scheint weder darauf vorbereitet noch scheinen wir ein Interesse an ihnen zu haben. Weder werden die Ressourcen zur Verfügung gestellt, dass diese „neue Generation“ vernünftig arbeiten kann, noch werden die Aus- und Weiterbildung und Arbeitsplätze daran angepasst. Von der Möglichkeit eine eigene kulturelle Identität zu entwickeln möchte ich erst gar nicht reden. Im Gegenteil, gerade diese Gesellschaftsgruppe muss sich für die Nutzung von Plattformen wie Facebook rechtfertigen – von Computerspielen ganz zu schweigen.
Ich weiß natürlich: ja es gibt in der Tat tolle Projekte und Ansätze. Aber reichen uns ein paar tolle Projekte und Ansätze? Sollte es denn nicht vielmehr darum gehen, unsere „neue Welt“ aktiv zu gestalten und die Digital Natives zu unterstützen bzw. von Ihnen zu lernen?
Beste Grüße
Christoph Deeg
Auch hier passt der Link zum Vortrag von Gunther Dueck auf der re:publica. „Das Internet als Betriebssystem der Gesellschaft“. Hast in vielen Punkten recht, ja. Aber Problem benötigen eine Lösung. Das ist der Weg und der Weg ist das Ziel ;-)
Hallo Sebastian, natürlich brauchen wir eine Lösung. Aber ist die nicht einfach? Wir müssen es einfach tun. Wir müssen endlich damit beginnen etwas zu ändern.
Christoph
Ich bin ebenfalls kein Digital Native, aber auch kein Digital Immigrant (siehe Artikel zur Spaltung der Technologiegesellschaft bei ChannelPartner: http://www.channelpartner.de/news/266463/), falls man das überhaupt am Alter festmachen kann. Ich könnte es mir übrigens durchaus vorstellen, dass Computerspielerfahrung vielleicht sogar dazu beiträgt, dass man mit dem Scheitern leichter umgeht, nach dem Motto „Okay, hat so nicht geklappt, probiere gleich noch mal eine andere Strategie“ und nicht „Oje, wir lassen es lieber bleiben oder andere sollen es tun.“
Demnach gehören wir wohl zu einer bisher undefinierten „Zwischengruppe“, die die Veränderungen und ihre Bedeutung sieht, versucht zu vermitteln und dabei immer wieder gegen Mauern rennt, denn Entscheidungen treffen nun mal meistens „Digital Immigrants“. Ich befürchte ja schon länger, dass der französische Soziologie Pierre Bourdieu, der sich mal mit den „verborgenen Mechanismen der Macht“ befasst hatte, einfach recht hat, wenn er so sinngemäß meint, dass viele Menschen oft strikt die Regeln und Grundsätze verteidigen, die dazu beigetragen haben, dass sie selbst bestimmte Abschlüsse erreicht haben bzw. in bestimmte Positionen gelangt sind, auch wenn es heutzutage unvernünftig ist bzw. ihnen selbst/der Einrichtung eher Nachteile bringt. Da ist manchmal sehr deprimierend! Ich lese in solchen Fällen den Absatz von Margarete Payer zur „realistischen Einschätzung von Entscheidungsvorgängen“ (http://www.payer.de/kommkulturen/kultur072.htm#2.1.), die es ein bißchen härter formuliert hat, und fühle mich meistens danach etwas getröstet. ;-)
Man unterscheidet ja mittlerweile eher zwischen Digital Residents und Digital Visitors. Peter Kruse hat auf der re:publica 2010 hierzu einen schönen Vortrag gehalten, siehe http://www.youtube.com/watch?v=ryiuuUKQJy0
Hallo Axel, vielen Dank für den Hinweis. Allerdings denke ich, dass die damit einhergehenden Problemstellungen gleich bleiben. Gerade für die Menschen, für die die digitale Welt Teil ihrer Lebensrealität ist, gibt es viel zu wenig Angebote in nahezu allen Bereichen.
Beste Grüße
Christoph
oja, so ist es!