Liebe Leser,
vor ein paar Tagen habe ich ein neues spannendes Bibliotheksprojekt gefunden: Ultra Bibliotheka.
Schon die Selbstdarstellung und die Idee ist mir sehr sympatisch. Vorbild sind die Ultras aus der Welt des Fußballs bzw. des Eishockeys. Ultras sind Fan-Gruppen die wirklich alles für einen Verein geben. Sie investieren jede freie Minute in den Verein. Sie sind es, die die Fankurven mit Leben füllen. Sie sind elementarer Bestandteil der Fankultur. (Ich weiß, dass es auch Kritik an der Ultra-Bewegung gibt – Manuel Neuer/Torwart des FC Bayern München hat z.B. sehr eigene Erfahrungen mit Ultras des FC Bayern machen dürfen. Jedoch ist hier der Begriff Ultra absolut positiv gemeint)
Ultra Bibliotheka beschreiben sich selber als der „erste Fanclub für das Bibliothekswesen“. Ultras sind aber nicht einfach nur Fans. Ultras möchten ihren Verein bzw. in diesem Fall das Bibliothekswesen aktiv mitgestalten. Sie möchten Fragen stellen, „die schon zu lange nicht mehr gestellt wurden“ und sie möchten bibliothekarische Themen ansprechen, „die zu sehr schon Standard sind, ohne noch groß hinterfragt zu werden.“ Als Fussballfan – als Ultra würde ich mich aus Respekt vor dieser Szene nicht bezeichnen – und als ein Mensch, der sich in verschiedenen Projekten u.a. intensiv mit der Zukunft der Bibliotheken beschäftigt, finde ich das Projekt natürlich richtig gut. Vielleicht könnte so etwas Vorbild für andere Institutionen und Unternehmen werden.
Ich habe Ultra Bibliotheka über eine sehr interessante Umfrage entdeckt. Auf ihrem Blog fragten Sie nach dem zukünftigen Berufsbild des Bibliothekars einer öffentlichen Bibliothek bzw. der zukünftigen bibliothekarischen Ausbildung. In Ihrer Umfrage „Lehrinhalte für öffentliche Bibliotheken im Studium“ fragten sie die Community, nach den Themen, die während des Studiums vermittelt werden sollten. Es gab ein paar Themen als Vorgabe, man konnte aber auch eigene Vorschläge eintragen. Ich habe mich sehr gerne an der Umfrage beteiligt und natürlich die Themen Gaming, Social-Media, Innovationsmanagement und Kulturmanagement angegeben:-)
Das Gesamtergebnis der Umfrage ist wirklich interessant. Als besonders wichtige Themen wurden Öffentlichkeitsarbeit, Bestandsmanagement und Eventmanagement definiert. Themen wie z.B. RAK (Katalogisierung) wurden als eher unwichtig eingestuft. Nun war diese Umfrage weder representativ noch fehlerfrei, was die Bibliotheks-Ultras auch zugeben. Interessant und wichtig ist diese Umfrage aber trotzdem. Sie zeigt nämlich einmal mehr, dass sich das Berufsbild des Bibliothekars in öffentlichen Bibliotheken ändert und die Ausbildung der Bibliothekare an diese neue Situation noch nicht angepasst ist. Die Autoren fordern dann auch, dass die Ausbildung von Bibliothekaren in öffentlichen Bibliotheken umgestaltet werden sollte.
Ich kann dem Wunsch der Ultras nur zustimmen. Neben der Neu-Fokussierung auf Themen wie Öffentlichkeitsarbeit und Innovationsmanagement sowie Social-Media-Management sollte m.E. mehr Wert auf Management-Know-How gelegt werden. In der Zukunft werden Bibliotheken Teil von interdisziplinären Netzwerken sein, denen auch Unternehmen angehören werden. Nur gemeinsam kann die Weiterentwicklung der öffentlichen Bibliothek im digitalen Raum wie auch der Bibliothek als realer Ort (beides gehört m.E. zusammen) realisiert werden. Dabei geht es nicht nur darum, hübsche und moderne neue Gebäude zu entwerfen, sondern vor allem diese neuen Gebäude mit neuen Ideen und Services zu füllen. Ein Beispiel wie so etwas aussehen kann sind die sog. „idea stores“ in London.
Wir brauchen mehr Innovationen und Ideen in Bibliotheken. Wir müssen die Bibliothek der Zukunft ohne gedankliche Restriktionen entwickeln. Warum nicht versuchen, in Bibliotheken Co-Working-Areas zu installieren? Warum nicht versuchen, Bibliotheken als Ideen-Räume zu entwickeln, in denen die Realität in einer Beta-Variante angedacht wird? Warum nicht die Menschen einer Stadt in alle Bereiche des Bibliotheksmanagements integrieren? Warum nicht von den Ansätzen in London (siehe auch hier:) oder Delft (Niederlande) lernen?
In den letzten Jahren haben sich die Bibliotheken schon enorm weiterentwickelt. Und doch ist es m.E. so, dass wir erst die ersten Schritte hin zu einer Bibliothek 2.0 getan haben.
Ich finde die Idee der Bibliotheks-Ultras, die Ausbildung zu reformieren sehr gut. Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen. Wir sollten nicht nur überlegen, wie wir die BibliothekarInnen der Zukunft ausbilden. Wir sollten auch überlegen, welche Berufsgruppen in der Zukunft in Bibliotheken arbeiten werden. In der Zukunft werden in Bibliotheken Bibliothekare, Marketing-Manager, Social-Media-Manager, Games-Entwickler, PR-Spezialisten, IT-Spezialisten, Medien-Pädagogen etc. arbeiten. Wir sollten schon heute die Strukturen schaffen, die dies ermöglichen. Dazu gehört auch, zu überlegen, wie man die richtigen Leute in die Bibliothek holt.
In den letzten Monaten wurde ich sehr oft gefragt, wie denn die Job-Beschreibung für einen Social-Media-Manager aussehen sollte? Einige Unternehmen und Institutionen hatten nach einem Social-Media-Manager gesucht und waren mit den Bewerbern eher unzufrieden. Wir haben uns dann die jeweiligen Ausschreibungen angesehen. Da hieß es z.B., man erwarte ein abgeschlossenes Studium im Bereich Marketing oder PR. Muss man ein abgeschlossenes Marketing-Studium haben um erfolgreicher Social-Media-Manager sein zu können? Ich bin da sehr skeptisch. Ich selber habe Musik studiert und dann in Unternehmen wie Walt Disney oder Yamaha-Music gelernt, worum es im Marketing oder im Vertrieb geht. Natürlich habe ich mir auch Fachliteratur besorgt und ein Kurse und Seminare zu Marketing, Kommunikation, Management etc. belegt bzw. tue dies auch noch heute.
Die meisten Social-Media-Manager die ich kenne, haben weder Marketing noch Kommunikation studiert. Einige haben das Studium abgebrochen, andere haben ein künstlerische oder ein natur- oder geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen. Warum schreibe ich dies alles? Viele Institutionen und auch Unternehmen haben feste Vorgaben bezüglich Stellenausschreibungen. Bewerber müssen z.B. ganz bestimmte Dinge studiert haben, um sich im Bereich Social-Media bewerben zu können. Dieser Umstand bedeutet sehr oft, dass sich einige von den Bewerbern, die man eigentlich haben möchte, erst gar nicht bewerben. Gerade für „Zukunftsqualifikationen“ die sich noch entwickeln und für die es m.E. kaum nachhaltige Ausbildungsangebote gibt, ist dies u.U. hinderlich.
Wir müssen also Bibliothekare anders ausbilden. Wir müssen zudem weitaus mehr Berufsgruppen für die Arbeit in Bibliotheken gewinnen können und wir müssen ebenso die dafür notwendigen strukturellen und rechtlichen Reformen einleiten. Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Entwicklungen.
Beste Grüße
Christoph Deeg
Das Problem in vielen Bereichen ist, dass die Anforderungen der Vergangenheit nicht mehr denen der Zukunft entsprechen werden. Daher passen Ausschreibungen sehr häufig nicht, vor allem, wenn es unter anderem um das Thema Social Media geht. Die Beschäftigung damit impliziert immer auch einen Kulturwandel und das hat natürlich auch Auswirkungen auf das, was im Unternehmen passiert, aber auch hinsichtlich seiner Außenwirkung inkl. der Produkte und Dienstleistungen.
Es ist schwierig, heute einen Blick in die Zukunft zu werfen, aber ich gebe Dir recht, wer z.B. klassisches Marketing studiert hat, ist, provokant gesagt, für einen Social-Media-Job ungeeignet, es sei denn, er hat seine angelernten Marketingprinzipien über Bord geworfen. Die guten Social-Media- bzw. Communitymanager kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die Ausbildung spielt derzeit noch(!) keine Rolle, aber ich vermute, das kommt demnächst. Wahrscheinlich dann, wenn die Unternehmen sich selbst neu erfunden haben.