Re:Publica – oder warum wir (noch) keine digitale Gesellschaft sind

Liebe Leser,

letzte Woche war ich auf der Re:Publica. Sicherlich habt Ihr schon davon gehört – in den Medien wurde intensiv darüber berichtet. Auf der Re:Publica treffen sich Menschen, die sich über die Themen Internet und digitale Gesellschaft unterhalten möchten und ich war mittendrin:-) Im Folgenden möchte ich meine Eindrücke über die Konferenz schildern und zudem ein paar Gedanken zur sog. digitalen Gesellschaft formulieren.

Beginnen wir mit der Konferenz. Der Grund für meine Teilnahme war Neugier. Ich wollte wissen, worüber andere Blogger bzw. „Netzaktive“ so reden. Ich wollte von Anderen lernen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Ich wollte mich über neue Trends und Erfahrungen informieren und ich wollte Spass haben:-) Natürlich war es letztlich ein beruflicher Besuch und ich muss sagen, die Investition hat sich gelohnt. Wie auf anderen Konferenzen auch gab es sehr gute und grotenschlechte Vorträge. Es gab Momente bei denen ich froh war lernen zu können und es gab ebenso Präsentationen bei denen ich dachte:“Wieder 30 Minuten die mir auf dem Sterbebett fehlen“. Die Tatsache, dass ab und zu das WLAN zusammenbrach fand ich eher amüsant denn problematisch. Es erdete die Veranstaltung wieder ein bisschen und sorgte dafür, dass man sich nicht für zu wichtig nahm.

Besonders interessant fand ich die Tatsache, dass es bei Twitter einige Tweets gab, die sich über die Nerds in Berlin lustig machten. Faszinierend – ich wusste gar nicht, dass ich ein Nerd bin. Faszinierend ist aber auch, dass sich anscheinend viele Menschen nicht als Teil dieser Gruppe sehen, obwohl sie Plattformen wie Facebook oder Twitter nutzen. Auch in den Medien wurde immer von einer besonderen Gruppe wie z.B. der Internet-Gemeinde gesprochen. Das wunderte mich schon sehr, denn ich habe hier nicht nur Nerds sondern größtenteils ganz normale Menschen getroffen, die zudem sehr unterschiedliche Ansichten und Fragestellungen formulierten. Trotzdem sollten wir davon lernen, denn es bedeutet, dass wir u.U. letztlich eine kleine Elite haben bzw. dies so wahrgenommen wird. Eine kleine Elite sollte sich aber nicht digitale Gesellschaft nennen und damit komme ich zum zweiten Thema dieses Beitrages.

Zu Beginn der Konferenz wurde die Gründung des Vereins Digitale Gesellschaft e.V. i. Gr. bekanntgegeben. Ich möchte jetzt nicht auf den Verein an sich eingehen, denn ich glaube wir sollten erstmal abwarten was nun passieren wird. Jedoch möchte ich anmerken, dass ich diese Gründung für richtig halte und ich mich darüber sehr gefreut habe.

Trotzdem ist es interessant, dass man eine Lobby-Organisation für eine digitale Gesellschaft gegründet hat. Es gibt viele Dinge, die sehr viele Menschen tun, z.B. Barbecue. Den ganzen Sommer werden wir wieder tausende Menschen finden, die ihren Grill anwerfen um Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst zu grillen. Ich selber bin ein sehr großer Barbecuefan. Im letzten Jahr habe ich es geschafft, 30x ein Barbecue zu veranstalten. Wir können also von einem Phänomen sprechen, welches in der Breite unserer Gesellschaft verankert ist. Allerdings gibt es hier keine Lobbyorganisation. Und es gäbe einiges für das man kämpfen könnte: besseres Fleisch, bessere Kohlen, bessere Grillsysteme, keine Zusatzstoffe in Marinaden etc. Menschen die ein Barbecue veranstalten tun dies einfach. Sie würden m.E. nicht auf die Idee kommen, sich grillende Gesellschaft zu nennen. Warum also gibt es die Idee einer digitalen Gesellschaft bzw. was soll diese digitale Gesellschaft denn sein?

Sucht man nach Zahlen zum Internet erfährt man, das ca. 70% der Deutschen online sind. Zudem sollen ca. 16 Millionen Deutsche einen Account bei Facebook haben. Ist das also die digitale Gesellschaft? Ich bin da skeptisch. Wie sieht denn die digitale Realität aus? Wenn ich die Erfahrungen meiner Arbeit zugrunde lege, dann ist das Internet bzw. das Web 2.0 vor allem ein Ort der Optionen. Das Web 2.0 kann dafür sorgen, dass wir Inhalte neu kommunizieren, erschließen und wahrnehmen. Das Web 2.0 bietet die Möglichkeit gemeinsam, kooperativ, interaktiv usw. Wissen und Ideen zu teilen und zu entwickeln. Es kann zudem in die Unternehmen, Institutionen und Organisationen hineinwirken, d.h. ihre Strukturen verändern und verbessern. All dies und noch viele weitere Dinge sind möglich – aber sie passieren in der Breite nicht.

Noch immer ist es so, dass die meisten Menschen nur rudimentäre Kenntnisse der Plattformen und der daraus resultierenden Möglichkeiten haben. Auf Seiten der Kultur- und Bildungsinstitutionen passiert immer noch erschreckend wenig. Auch viele Unternehmen scheinen im Web 2.0 nur ein weiteres Medium zu sehen, dem man nicht viel Beachtung schenken muss. Es gäbe noch viele Beispiele um zu zeigen, dass die digitale Gesellschaft noch in den Kinderschuhen steckt. Zudem stellt sich immer mehr die Kulturfrage: Die Kultur vieler Institutionen und Unternehmen, ihre Art zu denken und zu kommunizieren ist mit dem was wir Web 2.0 nennen nicht kompatibel. Und es gibt nicht selten das Problem mangelnder Ressourcen. All das ist auch die Realität unserer digitalen Gesellschaft.

Wir dürfen m.E. nicht vergessen, dass wir – also jeder Einzelne – Teil dieser digitalen Gesellschaft ist. So wie das Web 2.0 durch die User gestaltet werden kann und muss, sind wir auch für die Zukunft der digitalen Gesellschaft verantwortlich. Es gibt also die Chance einer User-Generated-Society und dies bedeutet z.B. dass wir Ansprechpartner für diejenigen sein müssen, die erst jetzt mit ihren ersten Schritten im Internet beginnen. Es bedeutet auch, dass wir nicht aufhören sollten, Kultur- und Bildungsinstitutionen aufzufordern, ein aktiver Teil des Internets zu werden bzw. es mit zu gestalten. Wir sollten auch Themen wie Computergames intensiver bearbeiten. Games sind ein elementarer Bestandteil der digitalen Welt bzw. der digitalen Gesellschaft. Schließlich werden wir überlegen müssen, wie wir die reale oder nicht-digitale Gesellschaft durch unser Wissen anreichern können.

Die Re:Publica und auch die Gründung des Vereins Digitale Gesellschaft hat gezeigt, dass es möglich ist, eine Idee einer digitalen Gesellschaft zu entwickeln. In Berlin gab es ca. 3000 Teilnehmer. Wenn es vielleicht noch 97000 weitere „Netzaktivisten“ gibt, dann sind wir in der Wahrnehmung der Gesellschaft immer noch eine Minderheit – eine sehr kleine zudem. Wir werden sicherlich für ein neues Urheberecht oder die Beibehaltung der Netzneutralität und viele weitere Themen kämpfen müssen. Und diese Punkte sind für alle Menschen bedeutend, die sich im Internet bewegen. Deshalb finde ich die Gründung des Vereins sowie die Aktivitäten vieler anderer Organisationen und Personen wichtig und gut. Wir sollten uns aber auch um diejenigen kümmern, die noch nicht soweit sind und wir sollten deren aktuelle Situation ernst nehmen – dann wird’s auch was mit der digitalen Gesellschaft…

Beste Grüße

Christoph

13 thoughts on “Re:Publica – oder warum wir (noch) keine digitale Gesellschaft sind

  1. Lieber Christoph,

    viele Hüte – meine Rede:-) Dass FoeBud, die AKs etc. seit Jahren gute Arbeit leisten, steht für mich auch gar nicht zur Debatte. Ich glaube sogar, dass die DG da ein guter weiterer Hut sein kann, da für mich das, was es bisher gab, gerne etwas leicht Elitäres, Unzugängliches hatte, es muss also mehr Partizipationsmöglichkeiten geben – gerade und vor allem auch da, wo etwas passiert, a.k.a. offline.

    Und du hast Recht, zum Beispiel auch im Bereich Internetkompetenz muss einiges passieren. Ist ja schön, wenn es im Alter zwischen 20 und 60 irgendwo ein Häuflein von Leuten gibt, die wissen, was da passiert / passieren kann, aber dem Rest der Internetnutzer hilft das wenig.

    Schöne Grüße!

    Lena

  2. Das Problem, das ich bei der ganzen Geschichte sehe, ist, das, was du schreibst: Es kann so vieles. Aber das heißt noch lange nicht, dass es was macht, das tut es nämlich dummerweise nicht von alleine. Ich fände es vor allem wichtig, ein breiteres Bewusstsein für die Relevanz netzpolitischer Themen zu schaffen, dann aber auch offline zu agieren, und dafür braucht es Leute, die eine ziemlich heterogene Masse namens „Netzgemeinde“ irgendwie repräsentieren müssen. Und die krieg mal alle unter einen Hut … :-)

    1. Liebe Lena,

      ich stimme Dir absolut zu und ich gebe zu, dass ich keine 100%-Lösung für das Problem habe. Was mir auffällt ist aber, dass die „Netzgemeinde“ meiner Meinung zu wenig dafür tut, die Menschen die noch nicht dazu gehören mit zu nehmen. Ich weiß, dass das nicht spannend oder cool klingt – aber wenn man etwas bewegen will….

      Wie gesagt, die Themen die vom neu gegründeten Verein und von vielen weiteren Institutionen und Organisationen behandelt werden sind wichtig, aber eine nachhaltige Weiterentwicklung der digitalen Gesellschaft (ich meine nicht den Verein) erreichen wir nur, wenn wir die Menschen einladen bzw. ihnen verständlich machen können, dass es auch ihre Themen sind.

      Wir kriegen die heterogene Masse namens Netzgemeinde nicht unter einen Hut – wieviel Gamer waren nochmal auf der Re:Publica? – und deshalb denke ich, dass wir alle aufgefordert sind, als heterogene Masse online wie offline zu agieren. Aber wie gesagt, eine 100% Antwort auf die Frage, wie man das genau anstellen könnte habe ich nicht. Es geht wohl letztlich sehr viel über die Bereitschaft und die Verantwortung des Einzelnen.
      Es gibt also nicht einen sondern viele Hüte:-)

      Liebe Grüße

      Christoph

  3. Grillende Gesellschaft und digitale Gesellschaft – sehr schön:)
    Im Fazit kann ich Christoph nur zustimmen, alle müssen mitgenommen werden. Als „Experte“ übersieht man manchmal, wo die eigentlichen Probleme liegen. Erst letzte Woche versuchte ein Leiter eines kleinen Museums mich davon zu überzeugen, dass die Sache mit dem Internet vollkommen überbewertet wird. Er behauptete steif und fest, dass maximal zehn Prozent der Deutschen das Internet überhaupt nutzen und war auch nach Hinweis auf entsprechende Studien nicht zu überzeugen. Sein Fazit: Er stecke keine Energie in den Onlineauftritt, die meisten Leute (auch Jugendliche – man sehe das ja an seinen Kindern!) – lesen Zeitung, deshalb werde er auch zukünftig verstärkt dort Anzeigen schalten…

    1. Lieber Simon,

      wieder sind wir einer Meinung:-) Ich glaube auch, dass wir noch sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass es im Netz noch sehr viel zu verbessern gibt. Wir haben ja schon oft davon gesprochen, dass es vor allem um nachhaltige Konzepte und Strategien gehen muss. Deine Gedanken zu diesem Thema haben mich immer wieder sehr nachdenklich gemacht – vielen Dank dafür. Das Spannende ist für mich u.a. wie wir inhaltliche und strategische Nachhaltigkeit in ein System bringen, welches sich vor allem durch Prozesshaftigkeit auszeichnet?

      Unabhängig davon müssen wir in der Breite versuchen, solche Menschen und Institutionen wie den von Dir angesprochenen Museumsdirektor zu überzeugen – und wir müssen Ihre Gegenargumente ernst nehmen d.h. ihnen zuhören…

      Beste Grüße

      Christoph

  4. Jetzt geht es darum, genau diese Gedanken auch raus zu lassen, nicht nur meckern weil wir so schlaue Experten sind. Stimmt.
    Das Web erklaeren, unter uns Experten hin oder her, die gesamte Gesellschaft muss es mitbekommen.

    Danke für dein Text. Lg

    1. Lieber Tom,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich denke auch, dass wir vor allem innerhalb der Gesellschaft etwas bewegen müssen. Und dabei wird es m.E. wichtig sein, nicht nur die Technik (Wikis, Blogs, usw.) sondern vor allem die dahinter stehende Kultur bzw. die Idee zu vermitteln.

      Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, dass es sehr viele unterschiedliche Probleme in Unternehmen und Institutionen gibt. Es gibt immer noch viele Institutionen und Unternehmen deren Mitarbeiter keinen freien Zugang zum Internet haben. Manche Bibliothek oder manches Museum muss ein Jahr lang kämpfen um eine Facebook-Seite haben zu dürfen usw. Dies sind ein paar Punkte – und es gibt noch viel mehr…

      Vielleicht brauchen wir eine Art digitales Manifest? Eine Sammlung von Forderungen die zum Ziel haben, eine digitale Gesellschaft zu bekommen?

      Beste Grüße

      Christoph

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich stimme der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten nach der EU-DSGVO zu und akzeptiere die Datenschutzbedingungen.