Der zweite Tag der Re:Publica

Liebe Leser,

bevor ich wieder in den heiligen Hallen der sog. „Netzgemeinde“ verschwinde, möchte ich Euch meine Eindrücke vom zweiten Tag der Re:Publica schildern:

Der Begriff „Netzgemeinde“ ist übrigens m.E. nach Blödsinn – erfunden von Menschen, die über etwas reden, was sie nicht verstehen. Auf der Re:Publica treffen sich keine Online-Nerds. Es ist keine geschlossene Community mit Mate-trinkenden Weißgesichtern. Im Gegenteil, die Re:Publica ist einfach eine Konferenz, bei der sich Menschen treffen, die sowohl digital als auch analog Ideen austauschen. Der große Vorteil zu anderen Konferenzen ist der, dass hier nicht dauernd Menschen herumlaufen, die einem etwas verkaufen wollen. Und es gibt sogar Pop-Stars und -sternchen. Sascha Lobo fällt z.B. zuerst in der realen Welt auf – kleiner Tipp: die Haarfarbe:-) Markus Beckedahl ist zumeist einfach nur nett und Mario Sixtus ist Mario Sixtus. Das bedeutet nicht, dass diese drei genannten Personen keine Inhalte hätten. Im Gegenteil. Die Bekanntheit der Netz-Pop-Stars basiert auf Ihren Handlungen und Ideen, nicht auf der Pseudo-Arbeit drittklassiger PR-Agenturen. Ja, die digitale Welt ist eine große und zugleich sehr heterogene und offene Kultur. Und genau um diese Kultur ging es für mich auch am zweiten Tag der Re:Publica.

Es begann mit einer weiteren Session zu Open-Innovation. Innovationsmanagement ist ein unglaublich spannendes und zugleich wichtiges Thema. Durch meine Arbeit am Technologieradar der Zukunftswerkstatt zusammen mit der ETH-Bibliothek und der FH Potsdam habe ich mich länger damit beschäftigen dürfen. Die Frage, wie wir Produkte, Unternehmen und Institutionen verbessern können ist gerade in Zeiten einer sich immer schneller verändernden Kommunikations- und Medienwelt von großer Bedeutung.

Den Auftakt machte Julia Leihener mit Ihrem Vortrag „Open Innovation: eine wirtschaftliche Perspektive“ Sie gab einen Einblick in die Arbeit der T-Labs der Telekom. Ich kenne die T-Labs schon ein bisschen und bin ein großer Fan. Besonders die Endkunden-Orientierung bei bzw. kontinuierliche Integration der Kunden in die Entwicklung von neuen Produkten und Angeboten war sehr spannend. In meiner Arbeit erlebe ich sehr oft, dass über die Kunden aber nicht mit den Kunden gesprochen wird. Das führt sehr oft dazu, dass Produkte und Dienstleistungen entstehen, die niemandem wirklich helfen oder sogar eher einen Schaden verursachen. Neben den Kunden sollen in kleinen Schritten auch die Mitarbeiter der Telekom in den Innovationsprozess eingebunden werden – und hier wird es richtig spannend. Ein T-Lab ist eine nette Einrichtung – wie aber werden z.B. die Berater in den Telekom-Shops eingebunden? Die Gundidee von Open Innovation ist ja die, auf die Ressourcen und die Kreativität möglichst vieler Menschen zurückgreifen zu können. Also muss genau dafür der Raum geschaffen werden. Und deshalb müsste die Telekom letztlich als Ganzes ein riesiges T-Lab sein.

Daran anschließend sprach Stefan Lindegaard in seinem Vortag „Open Innovation- Insights into the buzz“ über seine Erfahrungen als Berater in diesem Bereich. Bei seinem Vortrag wurde wieder einmal deutlich, dass es nicht um ein paar neue moderne Werkzeuge, sondern um eine völlig neue Kultur geht. Gerade für Führungskräfte ist Open Innovation eine große Herausforderung denn Ihre Rolle wandelt sich vom „Leader“ zum „Supporter“. D.h. sie sorgen dafür, dass Open Innovation passieren kann. Das mag banal klingen, es verändert aber alles. In meiner Arbeit kann ich dies sehr gut beobachten. Die Leitungen der Organisationen für die ich arbeite finden sich plötzlich in einer völlig neuen Rolle wieder. Die Strukturen und Modelle, die vorhanden sind werden verändert und müssen zudem hoch flexibel gestaltet werden. Open Innovation ist also kein neuer Service-Bereich sondern eine neue Denk- und Arbeitsweise.

Auch im nächsten Vortrag ging es um Kultur – sogar im doppelten Sinne. Tina Lorenz sprach in ihrem Vortrag „Theater und digitale Medien – ein Trauerspiel“ über die massiven Probleme die in Theatern entstehen, wenn man sich auf die digitale Welt einlässt. Ihre Analyse war absolut richtig. Wenn überhaupt dann bewegen sich die meisten Theater in der digitalen Welt als Theater 1.0. Es geht um Öffentlichkeitsarbeit, d.h. Facebook wird zu einer Plakatwand. Die Kultur des Theaters ist mit der Kultur des Web nicht kompatibel. Man denke nur an den Versuch des Thalia-Theaters, die Community zu fragen, welche Stücke gespielt werden sollen. Es ging nicht um das gesamte Programm sondern nur um ein paar Vorstellungen. Nun entschied sich die Community leider nicht für die Inhalte, die man sich erhofft hatte. Und der Feuilleton war sowieso stinksauer. Und so wurde aus einer wirklich genialen Idee ein Problem. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum dieses Projekt als Misserfolg gewertet wird? Was spricht dagegen, die Menschen zu fragen, was sie sehen wollen? Was spricht dagegen, dass ein Theater experimentiert? Was spricht dagegen, dass wir einfach nicht auf den Feuilleton hören – den sowieso niemand wirklich braucht? Theater sollte immer ein offener und kreativer Prozess sein – und nun ist es zumeist genau das Gegenteil. Dies betrifft aber nicht die Aufführungen sondern die Institutionen. Und gab es auch einen Kommentar eines Theater-Mitarbeiters, dass er auf keinen Fall Twitter und Co. in der Vorstellung haben will – und er sauer ist, dass auf Facebook niemand mit seinem Theater diskutiert? Aber die Menschen diskutieren über die Aufführungen, die Werke etc. Sie tun es nur nicht mit den Theatern. Und warum sollten sie es tun? Open Innovation in Theatern? Im Ergebnis sieht es so aus, dass die Computergames mehr und mehr die neuen Theaterbühnen werden. Es gibt dort große Geschichten, Auseinandersetzungen, Träume, Kreativität, Nachdenken und vor allem die Möglichkeit, Teil des Ganzen zu sein. Theatermacher sollten die Gamescom besuchen – im Moment tun dies verstärkt Dramaturgen, aber nicht um sich zu informieren, sondern um sich einen Job zu suchen…

Danach besuchte ich die Session „Cloud Music – Letzte Ausfahrt Abo-Streams“. Hier war vor allem interessant zu sehen, wie man mit dem Thema Streaming umgeht und welche neuen Angebote dabei entstehen. Plattformen wie Spotify oder Musicplayer suchen nach Wegen, in einer Welt ohne Datenträger Geld zu verdienen. Für mich war vor allem bedeutend, dass wir immer mehr Inhalte haben, die an geschlossene Systeme gebunden sind und gestreamt werden. Vor allem für Bibliotheken hat dies eine große Bedeutung. Das Verleihgeschäft bzw. die Bestandsorientierung wird verschwinden. Nicht so schnell wie prophezeit, aber Bibliotheken werden sich massiv verändern müssen. Musik, Filme, Bücher all das kommt aus der Cloud. Spätestens mit dem Aufkommen von eBooks, die nun animierte Apps. sind, und aus dem iTunes-Store runtergeladen werden, sind Bibliotheken „raus aus der Verlosung“. Die neuen Musikportale sind deshalb interessant, weil sie nicht nur den Zugang zu Inhalten ermöglichen, sondern vielmehr damit verbundene Services anbieten. Der Wandel von der Bestands- zur Serviceorientierung in Bibliotheken hat erst begonnen.

Es folgte eine längere Pause mit Gesprächen, Fritz-Cola und noch mehr Gesprächen – meine Festplatte war voll. Ich war müde gespielt. Aber ich wollte noch unbedingt dem Rat von Jin Tan folgen und Isaac Mao mit seinem Vortrag „How Sharism is unleashing liberty“ erleben. Und ich wurde nicht enttäuscht. Isaac Mao zeigte, wie Teilen und Vernetzung völlig neue Möglichkeiten, Strukturen und Innovationen ermöglichen. Er redete über die Geschichte der Industrialisierung und wie das Teilen von Informationen nicht als Piraterie sondern als Motor von Innovationen gesehen werden sollte. Er zeigte zudem, wie Politik und Menschenrechte durch Teilen als Idee und als aktives handeln verändert werden können. Seine Fokussierung lag auf den Menschen und nicht auf den Unternehmen oder Regierungen. Als ein Beispiel zeigte er eine Landmaschine, die vor vielen Jahrhunderten in China entwickelt worden war. Europäer „übernahmen“ – man könnte auch sagen klauten – diese Idee und entwickelten sie weiter. Was aus Sicht eines Urhebers problematisch ist, kann also aus Sicht der Gesellschaft von Vorteil sein. Isaac Mao ging es dabei nicht um eine Abschaffung von Rechten und Patenten etc. Es ging ihm um das Verständnis des Teilens und der daraus resultierenden Möglichkeiten.

Es war also wieder ein toller Tag. Bis auf die kleine Theatergemeinde gab es keine Nerds – aber sehr viel Spass.

Beste Grüße

Christoph Deeg

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